Es ist kein speziell schöner Tag. Keiner, wie aus dem Bilderbuch. Die Wolken hängen tief, eine leichte Schneedecke liegt auf den Feldern. Es sind noch nicht viele, die an diesem Morgen im Dezember mit der Seilbahn von Weggis auf die Rigi wollen, höchstens zehn. Keine Touristen.
Es ist aber ein Tag, wie ihn René Stettler besonders mag. Nicht, dass er die Weitsicht, das Panorama, die Sonnenauf- und -untergänge auf der Rigi nicht auch liebt. Aber an Tagen wie diesen ist es ruhiger als bei Sonnenschein: Es wimmelt nicht von Touristen.
Einzig die Schneefräse ist laut, als der Kulturwissenschaftler und Rigi-Anwohner über den Dorfplatz bei Kaltbad stapft. Schön, wie es schneit, sagt er. Unter dem Arm trägt er ein dickes Dossier. Er hat viel zu erzählen. Seine Mission: Er will verhindern, dass die Rigi zu Disney World wird. Er weiss auch, seine Aussage provoziert.
Für den Chef der Rigi Bahnen, Stefan Otz, hingegen ist dieser trübe Tag einer, wie er sich keinen wünscht. Die Sonne bringt mehr Geld in die Kasse. Er sitzt im warmen Büro, unten in Vitznau, am Fuss der Königin der Berge. Auch er hat ein dickes Dossier vor sich auf dem Tisch. «Masterplan Rigi», heisst das Papier, das Auslöser eines Streits ist, der am Berg entfacht ist. Auch Otz hat viel zu erzählen.
Das ominöse Dokument war bereits erstellt, als Otz im September 2016 nach Vitznau kam. Bei seinem Amtsantritt war sich der 52-Jährige sicher, dass im Zusammenhang mit dem 300'000 Franken teuren «Masterplan Rigi» bereits alles unter Dach und Fach sei.
Auch dann noch, als er im April dieses Jahres an der Bilanzmedienkonferenz der Rigi Bahnen erstmals öffentlich darüber berichtete. 50 bis 70 Millionen Franken wolle er investieren. Das Geld sei vorhanden.
Otz sprach von einer zehn Meter hohen Aussichtsplattform in Form eines Tannenzapfens auf Scheidegg, vom Sendeturm auf dem Gipfel bei Kulm, wo Bildschirme Besuchern auch bei schlechtem Wetter virtuell eine Aussicht bieten sollen. Von einer Schaukäserei. Seine Phantasie reicht bis zu einem historischen Schweizer Bergdörfli. Der eigentliche Aufschrei kam erst später.
Und zwar im Spätsommer, als Stettler Unterschriften für die Petition «Nein! zu Rigi-Disney-World» sammelte und damit eine grosse Medienresonanz erzielte. Über 3000 Personen stellten sich hinter sein Anliegen - auch Prominente wie Emil Steinberger oder Mario Botta. Stettler fordert eine «öffentliche, demokratische Diskussion.» Es gehe ihm um die «DNA des Berges».
Dann kam der erste Schnee. Und mit ihm legte sich der Sturm der Entrüstung rund um die Rigi etwas. Die Akteure machten einen Schritt aufeinander zu und trafen sich zu einem runden Tisch. Otz, Stettler, verschiedenste Interessengruppen. Trotzdem reduziert sich die Diskussion am Ende auf zwei Positionen: «Entweder man ist für oder gegen die Rigi Bahnen», sagte Otz. Das erstaune und störe ihn.
Man rief eine neue Arbeitsgruppe ins Leben - geleitet von René Stettler und seinem Mitstreiter Theo Weber. Von ihnen erwartet Otz nun Fakten und Klarheit zum weiteren Vorgehen - nach all der geäusserten Kritik. Stettler sieht sich als «Impulsgeber». Zusammen mit den Unterschreibenden bittet er die Rigi Bahnen, ihre Masterplanung zu überdenken. Für Otz ist klar: Im Altpapier landen werde das Dokument sicher nicht.
Für Otz gibt es für die Zukunft der Rigi einen Pflicht- und einen Kürteil. Kür sind seine Ausbaupläne. Damit will er den Touristen mehr bieten. Bei schlechtem Wetter und im Winter. Denn 60 Prozent der Gäste besuchen die Rigi von Mai bis Oktober.
Pflicht hingegen sei eine bessere Gästeankunft auf Kulm. Auch neues Rollmaterial. «Nostalgie in Ehren», sagt Otz. Aber die 80-jährigen Züge seien nicht mehr zeitgemäss.
Pro Jahr reisen 800'000 Gäste auf die Rigi. Otz glaubt, auch eine Million hätten Platz. Das will er «sauber» prüfen. Er argumentiert mit der Wirtschaftlichkeit. Stettler forderte öffentlich auch schon eine Obergrenze.
Der Chef der Rigi Bahnen sieht Wachstumspotenzial vor allem bei den Gästen aus Asien. «Die wollen schnell, schnell auf den Gipfel und dort ein Selfie knipsen.» Arabische Touristen seien weniger bergaffin. Für ihn ist klar: «Wenn wir nichts machen, dann machens die anderen.» Die Konkurrenz sitzt ihm im Nacken.
Philosophischer ist Stettlers Sicht in die touristische Zukunft der Rigi. Er stellt Fragen wie: Wem gehört die Rigi? Wer vertritt ihre Stimme? Seit sieben Jahren wohnt er auf der Rigi. Er sagt: «Die Rigi ist eine traditionelle Erholungsdestination.» Er will, dass auch künftige Generationen die Schönheit des Berges und seine Natur geniessen können.
Stettler sagt, er sei nicht gegen wirtschaftliche Notwendigkeiten und unternehmerische Freiheit. Er aber würde zwei Drittel der geplanten Investitionen in eine ökologische und energieeffiziente Bergbahn samt Infrastruktur investieren. Den Rest in Renaturierungsprojekte am Berg. Er denkt an Tourismus, der nicht auf Massen setzt.
Otz richtet seine schwarze, markante Brille und blickt in die Zukunft. In zehn Jahren, prophezeit er, würden verschiedene Eventpunkte auf der Rigi mit modernem Rollmaterial angefahren. Der Ausbau aber soll entlang der vorhandenen Bahnstrecken erfolgen. So gebe es auch künftig noch viele Orte, wo man Idylle finde. Stettler befürchtet, dass die Masse auch diese Plätze erobern wird.
Ende Januar werden sich die Herren erneut gemeinsam an einen Tisch setzen. Wohl nicht das letzte Mal. Inzwischen hat der Schneefall nachgelassen. Noch fegt ein garstiger Wind über den Dorfplatz von Kaltbad.