Wunderwerk der Logistik
So reist Ihr Weihnachts-Päckli zu Ihnen

Durch mehr als ein Dutzend Hände geht ein Paket auf seiner Reise vom Sender zum Empfänger. Dazwischen reist es durch ein weltweit einzigartiges Netz.
Publiziert: 14.12.2019 um 14:27 Uhr
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Aktualisiert: 23.12.2019 um 15:48 Uhr
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Wir schicken ein Päckli an einen langjährigen Leser.
Foto: Anja Wurm
Silvia Tschui

Wir nehmen es gerade in der Vorweihnachtszeit als Selbstverständlichkeit: Päckli im Onlinehandel bestellen, am nächsten Tag liegt es vor der Tür. Oder das gezielt und sorgfältig in der nächstgelegenen Stadt ausgesuchte Geschenk, welches das Göttikind, den Neffen oder die weiter entfernt wohnende Verwandtschaft erfreuen soll, aufgeben und wissen: Noch vor Weihnachten liegt es beim Empfänger.

Vorweihnachtszeit ist Päcklizeit – und zwar für die Post je länger je mehr: Wurden im Jahr 2000 gesamtschweizerisch 15 Millionen Päckli pro Jahr verschickt, waren es im Jahr 2018 schon 25 Millionen. Tendenz weiterhin stark steigend, dank boomendem Onlinehandel und Handyeinkäufen. In der Adventszeit erreicht die Päckliflut jedes Jahr ihren Höhepunkt.

Doch wie kommt es eigentlich, dass wir hier in der Schweiz am Nachmittag auf einer Poststelle etwas aufgeben können, was am nächsten Morgen bereits an irgendeiner anderen Ecke der Schweiz ausgeliefert wird? Zeit, mit solch einem Päckli mitzugehen und zu sehen, was hinter den Kulissen so alles geschieht.

Ein Leser wird überrascht – und wir gehen mit

Um das Wichtigste vorwegzunehmen: Es geschieht unglaublich viel. Und ein Paket geht durch viele Hände, bis es schliesslich beim Empfänger ankommt. Zumindest wenn man ein Päckli von Zürich nach Bern schicken will. Denn dort, in Bern, wohnt der zufällig ausgewählte, langjährige SonntagsBlick-Abonnent, den wir mit unserem Päckli überraschen. Drin ist ungefähr alles, was die SonntagsBlick-Redaktion an Merchandising hergibt und was wir als nützlich empfinden: also eine Mütze, ein Sackmesser, Jasskarten, aber auch BLICK-Jubiläumsschöggeli, ein Bildband mit den besten Pressebildern und diverse Sächelchen mehr – und, ja, ein BLICK-Käfer, den man nun nicht mit gutem Gewissen als nützlich bezeichnen kann, der aber in einem solchen Paket nicht fehlen darf. Stolze 4,6 Kilogramm bringt es schliesslich auf die Waage, als es die Postangestellte hinter dem Postschalter an der Höschgasse kurz vor vier Uhr im Zürcher Seefeld wiegt – Händepaar Nummer eins.

Für den Normalverbraucher ist das Päckli nun aus den Augen. Dabei beginnt erst jetzt eine komplexe Choreografie, die irgendwo zwischen Ameisenstaat, Ballett und Robotik liegt – mehr dazu später, denn zunächst bleiben die Dinge überschaubar. Hinter dem Schalter legt die Angestellte das Päckli in eine nach A-Post- oder B-Postsendungen beschriftete Rollbox, einen oben offenen Metallgitterkasten, der schliesslich mit diversen anderen via eine Rampe direkt in einen Lastwagen verfrachtet wird. Täglich gegen 17 Uhr holt ein erster Lastwagenchauffeur – Händepaar Nummer zwei – die tagsüber bis um 16 Uhr gesammelten Pakete und Briefe ab und spediert sie nach Zürich-Mülligen. 65 gelbe Kleinlastwagen fahren so jeden Tag allein im Grossraum Zürich abends die vielen Sendungen ins dort 2007 eröffnete Logistikzentrum. Die Sicherheitsmassnahmen sind streng: Ohne Badge öffnen sich weder die Autobarriere für den Besucherparkplatz noch das Tor ins Gebäudeinnere.

Gigantische Sortierhallen, weiter als das Auge reicht

Das Logistikzentrum ist gigantisch – auf 62'000 Quadratmetern Produktionsfläche, das sind mehr als acht Fussballfelder, arbeiten hier Hunderte von Personen, die meisten allerdings für die Briefpost (die jedes Jahr abnimmt). Nur schon die Gänge entlang der Mitarbeiter-Garderoben sind gigantisch. Ein drittes Händepaar hebt nun jedes einzelne Päckli aus der Rollbox, um weitere Boxen bis ganz oben zu füllen. Diese werden so verdichtet erneut auf Lastwagen verladen, um von einem weiteren Chauffeur – Händepaare vier und fünf – in die Paketzentren Urdorf oder Frauenfeld oder in ein weiteres Logistikzentrum gefahren zu werden. Unser Päckli landet in Urdorf ZH, wo noch einmal dasselbe geschieht, also abladen, umpacken, aufladen – Händepaare sechs und sieben.

Im nächsten Schritt wird es erst so richtig spektakulär: Die Sortieranlage im Paketzentrum Härkingen ist ein in rot-gelbem Licht gehaltenes, nachdenklich machendes Erlebnis der anderen Art. Zum einen stellt sich in der unfassbar riesigen Halle – 105'000 Quadratmeter, also diesmal knapp 15 Fussballfelder – der Eindruck ein: Wir Menschen sind eigentlich ähnlich organisiert wie Ameisen. Ein Einzelner weiss nicht ganz genau, wie die Gemeinschaft organisiert ist, in der er sich bewegt, spielt aber seine Rolle im Grossen und Ganzen so, dass der gesamte Organismus einigermassen funktioniert und kleine Handlungen in grössere Zusammenhänge passen. Denn was hier in Härkingen geschieht, ist eine Meisterleistung der Logistik: Wie in einem seltsamen Ballett läuft nahezu vollautomatisiert eine Art Tanz ab, bei dem so etwas Normales wie Abladen, Umladen, Aufladen – Händepaare acht, neun und zehn – fast schon mittelalterlich anmutet.

Die Päckli kommen hier, das geschieht noch manuell mit Muskelschmalz, eines ums andere auf diverse Laufbänder. Im Übrigen klingt das genauso streng, wie man es sich vorstellt: Heben Sie einmal acht Stunden lang Päckli von Rollboxen auf Laufbänder! Die Post ermutigt ihre Mitarbeiter deshalb zu regelmässigem Fitness-Rückentraining und veranstaltet regelmässige Schulungen, wie man Lasten am besten hebt.

Laufbänder, Sensoren, Klappen und rot-gelbes Licht

Jetzt beginnt das logistische Wunderwerk: Ein Scanner mit rotem Licht liest die Adressen. Kann der Scanner übrigens die Adresse nicht lesen – insbesondere bei Schnüerlischrift ist dies schwierig –, so fotografiert der erste Sensor oberhalb des Laufbands die Adresse, schickt das Bild auf den Computer, wo ein Mitarbeiter schliesslich 18 Sekunden Zeit hat, die Adresse zu erkennen und via Computer dem Paket zuzuweisen. Gleich nach der Scan-Station schwingen sich die Laufbänder hoch über unsere Köpfe. Tausendstelsekundengenau ist nun berechnet, wie lange das Paket auf dem Laufband benötigt, um zur ersten Drehscheibe auf seiner Sortierungsreise zu gelangen. Automatisch verteilen diese Drehscheiben die Päckli auf diverse weitere Laufbänder und Drehscheiben, zuletzt auf Bänder, welche mit automatisch kippbaren Hartplastikschalen ausgestattet sind. Auf diesen fahren die Sendungen – insgesamt schafft die Post bis zu sagenhaften 500'000 pro Arbeitstag allein in Härkingen SO – dann einzeln vorwärts, bis sie, ebenfalls tausendstelsekundengenau in seitlich angebrachte Rutschbahnen und darunter in eine Auffangwanne kippen. Jede Rutschbahn ist einem weiteren Logistikzentrum zugeordnet – unser Päckli muss als letzte Station nach Ostermundigen BE, wo Paketsendungen für die Zustellung Bern und die Agglomeration hinkommen.

Zunächst liegt es aber nun mit all den anderen Abertausenden von Sendungen mitten in der Halle – und nur schon das hat etwas Überwältigendes: Wer braucht all die Ware? Wer braucht so unbedingt das Neuste von Zalando, neue Flachbildfernseher, Kissenbezüge, Zeugs und Sachen? In dieser Masse ist das Ganze schlicht ein Wahnwitz. Und er nimmt rasend schnell zu, wegen des Onlinehandels und Dienstleistern wie Amazon oder Zalando, die auch mit Rücksendungen werben: Schon zeichnet sich ab, dass das 1998 erbaute riesige Paketzentrum Härkingen mit einer unfassbaren Kapazität von fast einer halben Million Päckli pro Arbeitstag in den kommenden Jahren an seine Grenzen stossen wird, schon realisiert die Post in Ostermundigen, im Tessin, im Wallis und in Graubünden vier weitere Paketzentren. Ziel ist es, schliesslich sogar am selben Tag, wie etwas bestellt wurde, liefern zu können. Dabei, sagt Oliver Flüeler, Mediensprecher der Post, sei bereits der heutige Standard «weltweit eine einzigartige Leistung».

Das System stösst an seine Grenzen – wegen des Onlinehandels

Trotzdem: Private Anbieter wie DHL, UPS oder FedEx konkurrieren das Geschäft, und der Gewinn aus dem Päckligeschäft ist für die Post klein. Investieren muss sie gleichwohl: Zusätzlich zu den neuen Paketzentren brauche es in Zukunft ein noch weiter verästeltes Netz, sagte Post-CEO Roberto Cirillo (48) diesen Sommer gegenüber «CH Media». Dies, um in der letzten Fahrt zum Kunden Wege zu verkürzen. In der Stadt Zürich testet die Post, ob in Zukunft schweizweit in den grösseren Städten ein System mit Dutzenden von Feinverteilungsstellen notwendig wäre – von diesen würden die Pakete dann nachhaltig, etwa mit Velokurieren, zum Kunden gebracht.

Zurück zum SonntagsBlick-Päckli, das noch immer mitten in der riesigen Halle in der Rutschbahnwanne liegt. Ein Mitarbeiter packt es wiederum in eine Box um und rollt diese ans andere Ende der riesigen Halle zu einer der vielen Öffnungsluken, wo bereits Container bereitstehen. Nun verlagert sich die Handlung ins Aussengelände: Ein von aussen gesteuerter Kran hebt die Container entweder auf Lastwagen oder auf Bahnwaggons. Eine eigens angelegte Schiene verbindet das Postzentrum mit dem Bahnnetz. Unser Päckli fährt nun mit dem Post-Zug nach Ostermundigen ins Logistikzentrum.

Hier hat die Nachtschicht längst begonnen. Um zwei Uhr nachts kommt das Päckli in Ostermundigen an der Milchstrasse 1 an, und landet nun – Händepaar Nummer elf – in einer fein sortierten Box, sodass der Zustell-Pöstler – Händepaar Nummer zwölf –, wenn er seine Schicht zu Weihnachtszeit um halb sechs Uhr morgens beginnt, sein Fahrzeug beladen kann. Rund 110 gelbe Kastenwagen kommen so jeden Morgen zum Einsatz. Von aussen betrachtet sieht das aus, als würde sich nach der Abfahrt um 7.10 Uhr eine gelbe, endlose Lawine über die Rampe ergiessen. Die Touren der Paketpöstler sind lang: Im Vorweihnachtspäcklistress kann es auch vorkommen, dass einer sein letztes Päckli abends um fünf oder halb sechs zustellt – und morgens um halb sechs Uhr angefangen hat.

Zugestellt ist unseres bereits in der Herrgottsfrühe um halb acht – klammheimlich als Überraschung vor die Tür gestellt. Und schon um halb zehn klingelt das Telefon: Der treue SonntagsBlick-Leser freut sich über Sackmesser, Mütze, Schöggeli und all die Siebensachen, die er dank insgesamt mindestens zwölf Händepaaren und einer ausgeklügelten Logistik empfangen durfte. Wie so viele in der Vorweihnachtszeit.

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