Die beiden Gutachter aus Frankreich sprachen am Mittwoch vor dem Genfer Kriminalgericht von «schweren Persönlichkeitsstörungen». Der mutmassliche Täter sei extrem narzisstisch und pervers. Nach Angaben der Gutachter handelt es sich um eine Person mit einem gespaltenen Ich.
Einerseits könne Fabrice A. ganz normal erscheinen, sich andererseits aber grausam verhalten. Die Gutachter verglichen ihn mit einem Kaleidoskop, in dem man alles und das Gegenteil sehe. Seine gespaltene Persönlichkeit zeige sich auch beim Umgang mit Frauen.
Der 42-jährige Angeklagte idealisiere sie, entwickle aber zugleich Hass. Seine polnische Ex-Freundin, zu der er flüchten wollte, beschrieb er als die perfekte Frau. Dennoch habe er sie töten wollen, weil sie ihn verlassen und er sich deshalb gedemütigt gefühlt habe.
Auch die Sozialtherapeutin Adeline habe er als Frau ohne Makel beschrieben, sagte Daniel Zagury, ein französischer Spezialist für Gerichtspsychiatrie und Serientäter. Er habe sie ausgesucht, weil sie freundlich und warmherzig gewesen sei. Aber dieses Idealbild habe Aggressionen bei ihm ausgelöst.
Der rote Faden seiner Delikte sei das Streben nach absoluter Dominanz über die andere Person. Bereits bei den beiden Vergewaltigungen 1999 und 2001 habe er die Frauen gefesselt und mit einem Messer bedroht.
Auch die Sozialtherapeutin Adeline führte der Angeklagte in einen Wald und band sie an einem Baum fest, bevor er ihr die Kehle durchschnitt. Das Gefühl der Allmacht habe bei ihm eine Art «narzisstische Orgie» ausgelöst, ein Hochgefühl, das über den sexuellen Orgasmus hinaus gehe.
Zagury und sein Kollege Pierre Lamothe zeigten sich eher pessimistisch bezüglich einer baldigen guten Entwicklung des Angeklagten. Derzeit und in einer nahen Zukunft bleibe das Risiko einer Wiederholungstat sehr gross, sagten beide.
In Fabrice A. befänden sich alle Zutaten für einen Serientäter, aber das müsse nicht bedeuten, dass er einer werden könnte, sagte Zagury. Trotz der Perversion und dem Mangel an Empathie sei der Angeklagte nicht psychisch krank.
Bezüglich einer möglichen Behandlung des schweizerisch-französischen Doppelbürgers zeigten sich die Gutachter zurückhaltend. Es wäre aber absurd, nichts zu versuchen, hielten sie fest.
Der Angeklagte steht seit Montag wegen des Tötungsdeliktes vor Gericht. Er hat gestanden, der 34-jährigen Sozialtherapeutin Adeline während eines Freigangs am 12. September 2013 die Kehle durchgeschnitten zu haben. Er bestreitet jedoch, die Tat geplant zu haben.
Dem 42-Jährigen werden Mord, Freiheitsberaubung, sexuelle Nötigung und Diebstahl vorgeworfen. Der Prozess dauert zwei Wochen. Am Donnerstag wird er mit der Befragung der Zeugen fortgesetzt.