Der Widerspruch ist mit der Volksabstimmung vom November 2010 in die Verfassung geraten: Straffällige Ausländerinnen und Ausländer sollen automatisch des Landes verwiesen werden, unabhängig von den Umständen des Einzelfalls. Das verträgt sich nicht mit dem Verfassungsgrundsatz, wonach alles staatliche Handeln verhältnismässig sein muss.
Der Bundesrat will das Problem lösen, indem eine Ausschaffung nicht automatisch, sondern abhängig der von der Höhe der Strafe verfügt werden soll. Damit setzte er sich dem Vorwurf aus, den Volkswillen zu missachten. Der Nationalrat seinerseits versuchte, dem mutmasslichen Volkswillen zuvorzukommen: Aus dem Text der 2012 eingereichten Durchsetzungsinitiative schmiedete er einen Gesetzestext, der weit über den Inhalt der Ausschaffungsinitiative hinausgeht.
Viel mehr Delikte als in der Verfassung vorgesehen würden zu einer automatischen Ausschaffung führen. Wiederholungstäter könnten auch wegen weniger schweren Straftaten oder gar wegen Antragsdelikten des Landes verwiesen werden, selbst wenn sie in der Schweiz aufgewachsen sind und das Land nie betreten haben, in das sie ausgeschafft werden.
Neben der SVP stimmten im Nationalrat FDP und BDP geschlossen, die CVP nahezu geschlossen für diese Umsetzungsvariante. Im Ständerat zeigten die Bürgerlichen dafür kein Verständnis. Der Weg des Nationalrats sei «von Angst getrieben», stellte Urs Schaller (CVP/FR) fest. Auch Christine Egerszegi (FDP/AG) unterstellte den Fraktionskollegen «Angst vor der Angstmacherei einer Partei».
Sowohl Schwaller wie Egerszegi gehören der Staatspolitischen Kommission des Ständerats (SPK) an. Diese hatte den vom Nationalrat eingeschlagenen Weg von Anfang an verworfen. Für die Ausarbeitung einer Alternative nahm sie sich mehrere Monate Zeit. Die Lösung, die die Kommission schliesslich präsentierte, fand im Ständerat breite Zustimmung: Die Gesamtabstimmung fiel mit 28 zu 3 Stimmen bei 9 Enthaltungen aus. Die meisten Enthaltungen kamen von der Linken.
Der Ständerat orientierte sich bei der Umsetzung nicht an der Durchsetzungsinitiative, sondern an der Ausschaffungsinitiative. Alle Delikte, die darin genannt werden, führen zu einer obligatorischen Ausschaffung, auch Sozialhilfemissbrauch. Darüber hinaus wird der Deliktskatalog um jene schweren Straftaten ergänzt, die sowohl in der Variante des Nationalrats wie auch in jener des Bundesrats fehlten - beispielsweise Zwangsheirat oder Genitalverstümmelung.
Die Umsetzungsvorlage beschränkt sich auf Verbrechen, also Delikte, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind. Das bedeutet aber nicht, dass Landesverweisungen nur ab einem bestimmten Strafmass ausgesprochen werden könnten. Wer wegen eines Verbrechens verurteilt wird, soll ausgeschafft werden, auch wenn die tatsächlich ausgesprochene Strafe weniger als drei Jahre beträgt.
Der Ständerat will auch die nicht obligatorische Landesverweisung wieder einführen: Nach Ermessen soll der Richter auch bei weniger schweren Delikten eine Landesverweisung anordnen können.
Kern der Vorlage und gleichzeitig Stein des Anstosses ist jedoch die Härtefallklausel: Das Gericht soll auf eine Ausschaffung verzichten können, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde. Diese Bestimmung ist insbesondere auf Secondos gemünzt. Wer in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist, soll nicht leichtfertig in ein fremdes Land abgeschoben werden, nur weil er keinen Schweizer Pass besitzt.
Die Ausschaffungsinitiative soll dadurch aber nicht ausgehebelt werden. SPK-Präsidentin Verena Diener (GLP/ZH) stellte klar, dass ein Härtefall nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen vorliege. Eine Härtefallklausel sei aber nötig, damit die Verhältnismässigkeit gewahrt werden könne, betonte Egerszegi. «Auch diese Vorgabe steht in der Verfassung.»
Dieser Grundsatz lässt sich auch nicht einfach so aushebeln: Das Bundesgericht hat in einem Urteil von 2012 festgehalten, dass es auf die Verhältnismässigkeitsprüfung nicht verzichten werde. Der Nationalrat haben darum einen «Schein-Automatismus» beschlossen, sagte Schwaller. Die Variante des Ständerats hingegen schränke das Ermessen der Richter ein. Die Definition, was ein Härtefall sei, werde nicht nach Strassburg delegiert.
Der Ratsrechten passte die Härtefallklausel nicht. Thomas Minder (parteilos/SH) bezeichnete sie als «Hintertür». Die Bürger wollten weg von der «Kuscheljustiz», da machten sie sich auch keine Gedanken, ob jemand in der Schweiz aufgewachsen sei.
Auch Peter Föhn (SVP/SZ) ortete «Unmut» in der Bevölkerung, es gelte, ein Zeichen zu setzen. Die Härtefallklausel entspreche nicht dem, was das Volk angenommen habe. Der Souverän habe sich «klipp und klar» für den Ausschaffungs-Automatismus ausgesprochen.
Justizministerin Simonetta Sommaruga erinnerte ihn daran, dass der Automatismus sehr wohl in der Umsetzung des Ständerats enthalten sei. Diese trage aber auch den anderen Verfassungsbestimmungen Rechnung. Weiter wollte der Ständerat aber nicht gehen: Er lehnte einen Antrag der Linken ab, Secondos grundsätzlich nicht auszuschaffen.
Der geänderte Deliktskatalog war nicht umstritten - das sei auch den Bürgerinnen und Bürgern nicht so wichtig, sagte Föhn. Auf seinen Antrag hin wurde dieser noch um die Teilnahme an terroristischen Aktivitäten oder Kampfhandlungen in der Schweiz oder im Ausland ergänzt, obwohl eine entsprechende Strafbestimmung fehlt.
Über die Folgen der Umsetzungvarianten kursieren unterschiedliche Zahlen: Die Varianten von Bundesrat und Ständerat sollen zu 5000 zusätzliche Ausschaffungen pro Jahr führen, jene des Nationalrats zu 11'000. Im Abstimmungsbüchlein zur Ausschaffungsinitiative hatten die Initianten von 1500 zusätzlichen Ausschaffungen gesprochen. Die Vorlage geht nun wieder an den Nationalrat. (SDA)