Parlament beschliesst Ausnahme
Terroristen dürfen in Folterstaaten ausgeschafft werden

Laut zwingendem Völkerrecht und der Bundesverfassung darf niemand in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter droht. Das Parlament will nun aber eine Ausnahme für Terroristen. Der Ständerat hat am Dienstag eine Motion aus dem Nationalrat angenommen.
Publiziert: 19.03.2019 um 10:15 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2019 um 17:38 Uhr
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Justizministerin Karin Keller-Sutter warnt davor, Terroristen in Folterländer abschieben zu wollen. Sie findet bei der Mehrheit des Ständerats aber kein Gehör. Hier im Bild mit Jean-Rene Fournier, links. Der CVP-ler stimmt als Ständeratspräsident nicht ab.
Foto: Keystone
Ruedi Studer, Pascal Tischhauser und Lea Hartmann

Terroristen sollen auch in Folterstaaten ausgeschafft werden dürfen. Mit diesem Entscheid hat der Ständerat am Dienstag einen früheren Entscheid des Nationalrats gestützt. Dabei darf laut zwingendem Völkerrecht und der Bundesverfassung niemand in einen Staat zurückgeschafft werden, in dem ihm Folter oder gar der Tod droht. Doch das Parlament will für Terroristen künftig eine Ausnahme machen.

Vorstoss aus den Reihen der CVP

Der Vorstoss stammt von CVP-Nationalrat Fabio Regazzi (56). Der Tessiner bezieht sich darin explizit auf  «Dschihadisten, die für Taten in Zusammenhang mit dem IS verurteilt wurden». Die innere Sicherheit der Schweiz müsse bei ihnen in jedem Fall vorgehen. 

Mit diesem Beschluss wird das zwingende Völkerrecht ausgehebelt. Denn das auch in der Bundesverfassung festgeschriebene Non-Refoulement-Prinzip sagt klar, dass niemand in einen Staat ausgeliefert werden darf, in dem ihm Folter oder eine andere grausame und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung droht.

Bundesrat plant bereits Massnahmen

Die Schweiz fährt schon heute einen harten Kurs gegen Terroristen. Wer die innere Sicherheit gefährdet, wird des Landes verwiesen – ausser eben, wenn ihm Folter droht. Darüber hinaus plant der Bundesrat weitere Massnahmen gegen Personen, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt wurden und nach der Verbüssung ihrer Strafe weiter ein Risiko darstellen, aber aufgrund des Rückschiebungsverbots nicht ausgeschafft werden können.

«Wir sind uns alle einig, dass wir die Bedrohung durch den Terrorismus konsequent bekämpfen und ihr entgegentreten müssen», erklärte FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter (55) in der Debatte. «Die Sicherheit der Schweizer Bevölkerung hat erste Priorität; aber wir müssen uns auch an die Grenzen des Rechtsstaates halten.»

Schweiz als «Folterknecht»

Doch das reicht den Parlamentariern nicht. Der Nationalrat hatte dem Vorstoss letztes Jahr mit 102 zu 72 zugestimmt. Die zuständige Ständeratskommission hingegen hatte eine Ablehnung beantragt, denn mit einer Annahme mache sich die Schweiz «selber zum Folterknecht».

Der FDP-Ständerat und Jurist Andrea Caroni (38) stellte sich in der Debatte ebenfalls gegen den Vorstoss: «Wir foltern nicht, und wir lassen auch nicht foltern!», betonte er. Der Ausserrhoder rief dazu auf, die höchsten Werte nicht im blinden Eifer gegen die blinden Eiferer zu zerstören – «damit wir nicht eines Tages werden wie sie».

CVP, SVP und FDP sagten mehrheitlich Ja

Doch bei einer knappen Mehrheit in seiner eigenen Partei und bei den meisten CVP-Ständeräten sowie in der SVP-Fraktion fand Caroni kein Gehör: Mit 22 zu 18 Stimmen bei einer Enthaltung schlug das Stöckli Caronis Bedenken in den Wind.

Zehn CVP-ler waren dafür, Terroristen in Folterstaaten zu schicken. Nur CVP-Frau Anne Seydoux (60) stimmte dagegen, Beat Vonlanthen (61) enthielt sich. Und Jean-René Fournier (61) stimmte als Ständeratspräsident nicht.

Vonlanthen erklärt seine Enthaltung wie folgt: «Auch ich bin der Meinung, dass man Terroristen nicht mit Samthandschuhen anfassen soll.» Aber die Schweiz sei ein Rechtsstaat. «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht über das Ziel hinausschiessen. Sonst verspielen wir unsere Glaubwürdigkeit», sagt der frühere Freiburger Regierungsrat und Jurist. Schliesslich habe der Bundesrat klar gesagt, dass der Vorstoss nicht umsetzbar sei.

Fünf Freisinnige sagen Nein

Sieben Ja-Stimmen gab es auch aus der FDP und fünf Stimmten dagegen. Neben Caroni schlugen sich auch die Freisinnigen Raphaël Comte (39), Olivier Français (63), Thomas Hefti (59) und Ruedi Noser (57) auf die Seite von Keller-Sutter. Die FDP-Mehrheit liess somit aber die eigne Bundesrätin im Regen stehen.

Einer davon war FDP-Ständerat Martin Schmid (49) – wie Caroni Jurist: Die Bundesverfassung gelte weiterhin, das Non-Refoulement-Prinzip stehe nicht zur Diskussion, erklärt er. «Aber wir wollen, dass der Bundesrat dabei den maximalen Spielraum ausschöpft.» Nur wenn jemand wirklich an Leib und Leben bedroht sei, soll er nicht ausgeschafft werden dürfen. «Ich bin überzeugt, da gibt es noch Luft», glaubt der Bündner.

Erwartungsgemäss sagte auch die SVP-Fraktion ja – und lieferte fünf Stimmen zur Annahme des Vorstosses. Geschlossen Nein stimmten hingegen die SP und die Grünen. Für SP-Ständerat Hans Stöckli (66) haben «gewisse Kollegen» dem CVP-Vorstoss zugestimmt, «weil sie meinten, es gebe Handlungsspielraum. Aber den gebe es nicht: «Zwingendes Völkerrecht ist nicht verhandelbar», unterstreicht der frühere Bieler Stapi – auch er ein Jurist. Wie für Caroni darf auch für ihn die Schweiz «keinen Beitrag dazu leisten, dass Menschenrechte verletzt werden. Auch nicht an Menschen, die sie selbst verletzt haben».

Mission Impossible

Damit ist der Bundesrat mit der «Mission Impossible» beauftragt worden, eine Gesetzesvorlage ausarbeiten, dank derer Terroristen rechtsstaatlich korrekt in Folterstaaten zurückgeschickt werden können. Gut möglich, dass das Parlament nach den Wahlen selbst zur Einsicht gelangt, dass es seinen eigenen Entscheid wieder über den Haufen werfen muss.

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