Stadt Sitten klagt gegen Bundesamt
Sprachenstreit am Himmel eskaliert

Auf Schweizer Flugplätzen dürfen seit über einem Jahr nur noch Piloten landen, die Englisch können. Das Parlament wehrte sich gegen die neue Sprachregelung – doch passiert ist seither nichts. Nun ist der Gemeinde Sitten der Geduldsfaden gerissen.
Publiziert: 21.09.2020 um 17:21 Uhr
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Aus dieser Perspektive sehen viele Westschweizer Piloten den Flughafen Sion derzeit nicht. Weil sie keine englische Funklizenz haben, müssen sie am Boden bleiben.
Foto: Keystone
Lea Hartmann

Wer kein Englisch spricht, muss am Boden bleiben: Die neue «English only»-Regelung beim Fliegen sorgt bei Hobbypiloten aus der Romandie für rote Köpfe. Seit Juni 2019 dürfen sie in der Luft nur noch auf Englisch mit dem Tower kommunizieren. Auf Deutsch, Französisch oder Italienisch funken ist nicht mehr erlaubt.

Nicht nur die Piloten, auch die Politik wehrt sich gegen die neue Sprachregelung. Der Sprachenstreit am Himmel zieht sich schon über mehrere Jahre hin. Nun spitzt sich der Zwist zu: Die Stadt Sitten hat beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) jüngst eine Beschwerde eingereicht. Die Gemeinde wirft Bundesrätin Simonetta Sommaruga (60) Rechtsverweigerung vor.

Mehr als 100 Piloten gegroundet

Über 100 Piloten, schätzt die Stadt, können wegen der neuen Vorschrift am Flugplatz Sion seit über einem Jahr mehr abheben oder landen – oder nur in Begleitung eines Co-Piloten, der des Englischen mächtig ist. Denn im Wallis gibt es viele Piloten, die nur eine französische Funklizenz haben. Um unter dem neuen Sprachregime fliegen zu können, müssten sie eine zusätzliche Prüfung ablegen.

Das kann nicht sein, findet das Parlament. Weil der Bundesrat die «English only»-Regelung gegen den Willen des Parlaments ins Gesetz schrieb, ohne dabei für Hobbypiloten eine Ausnahme zu machen, stiegen die Politiker auf die Barrikaden. Beide Räte nahmen Ende vergangenes Jahres einen Vorstoss an, der fordert, dass der Bundesrat die Englisch-Pflicht für den nicht gewerbsmässigen Sichtflug kippt.

Keine Lösung in Sicht

Der Auftrag an Sommarugas Departement war damit klar. Doch das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) hat die entsprechende Verordnung bis heute nicht angepasst. Nun ist der Stadt Sitten der Geduldsfaden gerissen. Sie hatte nach dem Parlamentsentscheid beim Bund eine Ausnahmeregelung beantragt, damit die Piloten wieder Französisch funken dürfen – bis die Verordnung geändert ist. Eine Antwort habe man nie bekommen, weshalb die Stadt nun beim zuständigen Departement eine Beschwerde einreichte.

Auch das Parlament macht Druck. In der Fragestunde von heute Nachmittag bringen gleich mehrere Nationalräte das Thema aufs Tapet. Der Walliser CVP-Nationalrat Benjamin Roduit (57) spricht von einer «verfahrenen Situation, die besorgniserregende Dimensionen annimmt». Und will wissen, wann der Bundesrat endlich Massnahmen ergreift. Bei FDP und SVP rumort es ebenfalls.

«Sicherer, wenn Pilot die Muttersprache spricht»

FDP-Nationalrat Matthias Jauslin (58) ist Präsident des Aero-Clubs der Schweiz, dem Dachverband der Schweizer Leichtaviatik. Er wirft dem Uvek vor, sich gegen den Entscheid des Parlaments aufzulehnen. Das Bazl habe vor wenigen Monaten zwar ein Umsetzungskonzept vorgelegt. «Dieses ist in Pilotenkreisen aber überhaupt nicht gut angekommen», sagt er. Denn faktisch halte der Bund an der «English only»-Regelung fest – obwohl der Auftrag des Parlaments klar war.

Das BAZL wehrt sich gegen den Vorwurf vonseiten der Politiker und der Gemeinde Sion, einen Entscheid zu verzögern. Man habe alle nötigen Schritte in die Wege geleitet, um den vom Parlament angenommenen Vorstoss umzusetzen, teilt das Bundesamt auf Anfrage von BLICK mit.

Laut dem Bund geht das aber nicht so schnell. Das Umsetzungskonzept soll bis Ende 2020 fertig sein, kündet das Amt an. Dann könne das Gesetz angepasst werden. Für den Flugplatz Sion prüfe man, ob schon vorher eine Ausnahmeregelung möglich ist.

«English only» sei sicherer

Der Bund setzt sich für die Pilotensprache Englisch ein, weil das aus seiner Sicht den Flugverkehr sicherer macht. Jauslin bezweifelt dies. Auch das Argument, dass nur eine kleine Minderheit der Piloten in der Schweiz überhaupt von der Neuregelung betroffen ist, da die meisten bereits heute auf Englisch funken, lässt er nicht gelten.

«Es ist ein Scheinargument, wenn man sagt, es handle sich um ein Problem einer Minderheit», sagt er. «In ganz Europa kann man auf praktisch jedem Flugplatz, bei dem es keinen Linienflugbetrieb gibt, mit in der Region gesprochene Sprache oder Englisch funken.» Das soll auch in der Schweiz so bleiben.

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