Alles beginnt ganz normal. Boarding, Durchsage, Losrollen. Doch dann biegt das Flugzeug ab. Fährt noch einmal über die Startbahn. Irgendwann ein Begleitauto mit blinkenden Lichtern. Die Crew öffnet die Notausgänge. Es gebe ein Problem mit der Kommunikationsanlage, meldet der Captain. So wolle er nicht von Malaga nach Zürich fliegen. Die gut 200 Passagiere sitzen etwa eine Stunde lang im Flugzeug. Weitere Informationen, ein Glas Wasser? Fehlanzeige.
Es ist der Beginn einer Odyssee. Nach einer Stunde geht der Mechaniker von Bord, man wolle rasch losfliegen, um noch rechtzeitig in Zürich zu landen. Das Swiss-Flugzeug hätte kurz nach 20 Uhr in Spanien abheben sollen. Inzwischen ist es fast halb zehn.
Es gibt noch ein technisches Problem. Um 22 Uhr nehmen die Passagiere ihre Koffer am Rollband wieder in Empfang. Man werde die 200 Fluggäste mit Bussen von Málaga nach Granada in ein Hotel bringen. 137 Kilometer, zwei Stunden Fahrt. Für den Transfer stehen nur zwei Reisecars bereit. Ankunft im Hotel: halb drei Uhr morgens.
Unter den Passagieren war auch Sarah Gut*. Sie hatte mit ihrem Freund und seinen Eltern zehn Tage in Spanien verbracht. Der Flug war günstig, bloss 380 Franken. Inzwischen hatte sie eine Mail von der Swiss erhalten: Sie könne am Montag um 20.05 Uhr heimfliegen – 48 Stunden später als geplant.
Eine auffällige Häufung
Flug LX2117 ist keine Ausnahme. Die Fälle mit Passagieren, die nach der Verschiebung eines Flugs überlang auf die Heimreise warten Flugverspätung müssen, häufen sich. Das bestätigt Simon Sommer von Cancelled.ch, der Schweizer Version des deutschen Fluggastrecht-Portals Flightright.de. Hart belegen lasse sich zwar nicht, dass dahinter System stecke. «Aber wenn ich sehe, wie viele Kunden extrem lange warten und dann zum Teil mit absurden Umwegen heimfliegen müssen, drängt sich der Verdacht schon stark auf.»
Sommer ist neulich selber am Flughafen hängengeblieben. Eine Angestellte habe ihm erklärt: «Gestrandete Kunden werden fast nie auf den wirklich nächsten Flug umgebucht.»
Ein Brancheninsider mit jahrzehntelanger Erfahrung, der anonym bleiben möchte, bestätigt diese Praxis: «Gemäss Vertrag sollte eine Airline Kunden, die irgendwo hängenbleiben, mit dem nächstmöglichen Flug heimfliegen. In der Branche vermutet man aber stark, dass die Airline wartet, bis ein Flug verfügbar wird, der der eigenen Allianz angehört. Sonst wird es für die Airline teuer – dann zahlt sie lieber ein, zwei Hotelnächte.» Die vielen Anfragen, die dazu in den letzten Monaten beim Beobachter-Beratungszentrum eingingen, deuten in die gleiche Richtung.
Plötzlich getrennte Flüge
Die Odyssee der Passagiere in Spanien war noch nicht zu Ende. Für Sarah Guts Freund Mauro Keller* war noch kein neues Ticket gekommen. «Wir trauten uns nicht, schlafen zu gehen», erzählt sie. «Was, wenn dann noch eine Mail käme, dass er am Morgen heimreisen könne? Wir wussten, dass wir neben der Zeit zum Einchecken noch zwei Stunden für die Busfahrt von Granada nach Malaga einrechnen mussten.»
Irgendwann kam die Mail dann noch. Mauro Keller könne am Dienstagmorgen heimfliegen. Von Malaga nach Genf, dort vier Stunden Aufenthalt, Ankunft in Zürich um 16.40 Uhr. Sagenhafte 66 Stunden später als geplant. Das ist nicht der einzige Schönheitsfehler: Seine Freundin und er hatten die Reise gemeinsam gebucht und wollten eigentlich auch gemeinsam zurückreisen.
«An der Réception drückte man uns dann einen Zettel in die Hand.» Darauf eine Telefonnummer. «Wir haben spezifisch für die Gäste des Flugs LX2117 eine zusätzliche Hotline eingerichtet», wird die Swiss später erklären.
«Swiss?» – «No.»
«Ich habe mehrfach versucht, diese Nummer anzurufen», erzählt Mauro Keller. «Zuerst landete ich bei einem Mann, der schlechtes Englisch mit starkem Akzent sprach. Er verstand mich nicht. Auf mein ‹Swiss?› antwortete er mit ‹No›. Bei späteren Versuchen kam dann nur noch ein Tonband.» Dennoch entstehen Keller nun gute 50 Franken Telefonkosten. Aus der Aufstellung ist ersichtlich, dass es Anrufe an die Swiss sind. «Die Betreuungskosten wie Hotel, Transfer, Verpflegung und Anrufe werden allesamt von der Swiss übernommen», heisst es dort. «Die Kunden sind gebeten, die Nachweise bei uns einzureichen.»
Schliesslich gelingt es Keller, jemanden bei der Swiss zu erreichen. Das Zusammenlegen der Reisen für ihn und seine Freundin klappt. Am späten Montagabend landen sie in Zürich-Kloten. Dort wartet das nächste Problem: «Bei einer späten Ankunft am Samstag hätten wir eine Nachtzug-Verbindung gehabt, am Montag nicht.» Ein teures Taxi muss her.
Obendrein muss Mauro Keller am Montag seinen Stundenlohn-Job ausfallen lassen und am Dienstag todmüde zur Arbeit. Ein Verlust von sechsmal 25 Franken – viel für einen selbständigen Musiklehrer. Sarah Gut, die neben ihrem Studium im Stundenlohn arbeitet, entgehen achtmal 30 Franken. Kellers Eltern landen erst am Dienstag in Zürich und verlieren so je zwei Ferientage.
Die Swiss will für den Lohnausfall nicht aufkommen: «Wenn sich ein Kunde für alle Eventualitäten absichern möchte, ist es ratsam, eine Reiseversicherung abzuschliessen.» Doris Huber vom Beobachter-Beratungszentrum findet die Aussage seltsam. «Reiseversicherungen kommen in solchen Fällen nicht für Lohnausfälle auf Reiseversicherung. Das müsste man bei der Swiss eigentlich wissen.»
Reisegutschein über 200 Franken
Inzwischen schlägt die Swiss doch etwas versöhnlichere Töne an: «Bezüglich Ausgleichszahlungen wird jeder Fall individuell geprüft.» Man verspricht, «kulant» zu handeln, «da aufgrund des Flugausfalls grosse Unannehmlichkeiten für unsere Kunden entstanden sind, die wir sehr bedauern».
Doch das Entgegenkommen ist nicht sehr gross. Die Passagiere erhielten einen Reisegutschein über 200 Franken. Eine Entschädigung gebe es nicht, da der technische Defekt als «aussergewöhnlich und unabwendbar» anzusehen sei. Die Swiss verweist auf die EU-Verordnung 261/2004: «Wir haben den Vorfall als unerwarteten Flugsicherheitsmangel eingestuft, und damit liegt ein aussergewöhnlicher Umstand vor.»
EU: Passagiere kommen besser weg
«Das mit den ‹aussergewöhnlichen Umständen› ist ein Gummiparagraf», erklärt Simon Sommer von Cancelled.ch. «Es gibt zwar klare Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die den Begriff recht eng und damit zugunsten der Passagiere auslegen. Aber diese Urteile sind für die Schweiz nicht bindend.»
FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler hat eine Motion eingereicht, die bewirken soll, dass Schweizer gleich behandelt werden wie EU-Passagiere Flugverspätungen. Der Bundesrat hat zwar geantwortet, für Simon Sommer aber «enttäuschend». Momentan bleibt also alles beim Alten.
Sommer rät den Swiss-Passagieren, den Gutschein noch nicht einzulösen und sich zu wehren. Aber es sei halt schon so: «Wenn man sich gegen eine Airline wehren muss, ist das immer wie David gegen Goliath.»
* Name geändert
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch
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