Littau ist eine von rund 700 Gemeinden, die seit dem Jahr 2000 wegfusioniert wurden
Stoppt den Fusions-Unsinn!

Bürger und Experten wehren sich gegen die Zusammenlegung von Gemeinden – Studien geben ihnen recht.
Publiziert: 11.01.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 23:37 Uhr
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Alois Greter wohnt seit Geburt in Littau. Die Gemeinde ist eine von rund 700, die seit dem Jahr 2000 wegfusioniert wurden.
Foto: Valeriano Di Domenico
Von Florian Imbach (Text) Und Valeriano Di Domenico (Foto)

Am 1. Januar 2010 verschwand Littau, die Gemeinde von Alois «Wisi» Greter, (64) für immer. Heute ist der Ort nur noch ein Teil Luzerns, «Stadt Luzern» prangt auf der Ortstafel. Bauer und Dorforiginal Greter kämpfte an vorderster Front gegen die Fusion. «Klar, ging es uns finanziell schlechter», sagt er. «Aber die Probleme hätten wir auch lösen können, ohne Littau aufzugeben.» Für eine Mehrheit der Littauer war die Fusion aber die naheliegende und einfache Lösung. Zu schmackhaft machten die Politiker die Heirat mit Luzern. «Mit Speck fängt man Mäuse», sagt Greter.

Die Versprechen der Politiker aus Luzern waren vollmundig. Die Verwaltung werde professioneller, bleibe aber bürgernah, versicherten sie. Doch was passierte nach der Fusion? Im kurz zuvor erstellten Gemeindehaus sitzt heute die städtische Informatik. Die Littauer Beamten wurden in die Stadt wegtransferiert, der Kundenschalter im Dorf kurz danach geschlossen. Ansprechpartner, die früher direkt im Dorf waren, sind heute weit weg. «Die Leute in der Verwaltung wechseln oft und kennen die Verhältnisse bei uns im Dorf nicht mehr», sagt Greter. «Ein Baugesuch wurde früher in wenigen Wochen bearbeitet. Heute dauert es mehrere Monate.»

Ein erfahrener Littauer Baubeamter wollte nach der Fusion mindestens als beratende Stimme seine Ortskenntnisse einbringen. In Luzern war man daran aber nicht interessiert. «Wir sind enttäuscht», sagt Greter. Luzerner will er bis heute nicht sein. Aus Protest liess er sich nach der Fusion ausbürgern. In Luzern sind die Verantwortlichen aber überzeugt, dass die Fusion ein Erfolg war. Die Bevölkerung des Stadtteils Littau profitiere insgesamt von mehr und besseren Leistungen, heisst es.

Dabei sprachen die Fusionsfreunde auch von Einsparungen in Millionenhöhe. «Synergien» könnten genutzt werden. Nach der Eingemeindung stiegen die bis anhin tiefen Pro-Kopf-Ausgaben Littaus aber um die Hälfte an. Zwar sank der Steuersatz – auch dank Geld vom Kanton – doch wohl nicht für lange. Der Schuldenberg Luzerns drückt.

Mit Fusionen könne gespart werden, behaupten Politiker stets. «Ein Märchen», sagen Experten. Christoph Schaltegger (42) von der Universität Luzern: «Der Trend zu Gemeindefusionen passiert weitgehend frei von finanzpolitischen Fakten. Es ist unehrlich, wenn man den Leuten vorgibt, mit Fusionen würden Kosten gespart.» Schaltegger äussert einen Verdacht: «Die Verantwortlichen ködern die Stimmbürger gerne damit, dass es Kosteneinsparungen gebe. Wenn die Fusion dann durch ist, werden diese aber nicht realisiert.»

Die einzige Schweizer Studie, die überprüfte, ob Fusionen wirklich Kosten senken, stammt von Simon Lüchinger (39). Für die Universität Zürich suchte der Professor nach dem viel zitierten Spareffekt. «Wir konnten bei den untersuchten Gemeinden keine Kosteneinsparungen finden», fasst er zusammen. Im Gegenteil: In fusionierten Gemeinden stiegen die Kosten sogar stärker. Studien aus Finnland und Deutschland kommen zum gleichen Schluss.

Völlig euphorisch gingen die Glarner in die Brutalo-Fusion von 2011: Aus 25 Gemeinden wurden drei. Die neuen Gemeinden kommen seit 2012 aus den roten Zahlen nicht mehr heraus. Bis heute schreiben die Gemeinden Verluste. Die Politiker müssen mittlerweile zugeben, dass sie zu optimistisch waren.

Seit dem Jahr 2000 verschwanden in der Schweiz rund 700 Gemeinden (siehe Grafik). Das ist jede fünfte Gemeinde. Eine Entwicklung bar jeder Faktengrundlage. Denn oft drängen Kantone ihre Gemeinden zur Fusion, wie Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger (53) feststellt: «Der Kanton hat mit weniger Gemeinden weniger Arbeit. Und es ist bequemer für die Beamten mit vollamtlichen Gemeindemitarbeitern zu arbeiten, die zu Bürozeiten erreichbar sind.» Ob die Fusionen auch den Bürgern nützen, sei eine andere Frage.

Eichenberger fordert ein Umdenken. «Die Verantwortlichen wollen oft von Anfang an nur eine Fusion. Das gibt kein faires Verfahren.» Stehe eine solche zur Diskussion, müssten immer erst Alternativen geprüft würden. «Vielfach ist die Fusion der falsche Weg. Mögliche Probleme in den Gemeinden können oft anders gelöst werden. Es gibt keinen Grund, erfolgreiche Strukturen zu zerschlagen.»

Bei Finanzproblemen helfe es, die Rechnungsprüfungskommission zu stärken. Fehlender Nachwuchs lasse sich mit Auswärtigen kompensieren. «Wir brauchen einen offenen Markt für Politiker», sagt Eichenberger – und verweist auf den Kanton St. Gallen, der die Wohnsitzpflicht erfolgreich gestrichen hat. Gemeinden sollten auch vermehrt  zusammenarbeiten. «Viele kleine Gemeinden sind äusserst erfolgreich. Andere können davon profitieren, ohne gleich zu fusionieren.»

Alois Greter wäre froh gewesen, hätte man in Littau fair und offen Alternativen geprüft. Er ist sich sicher: «Heute würden die Littauer nicht mehr zustimmen.» Und an die Adresse anderer Gemeinden, die zur Fusion gedrängt werden, sagt er: «Lasst euch nicht über den Tisch ziehen. Kommt nach Littau und schaut an, was die Fusion bei uns angerichtet hat.»

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