Invalidenversicherung
Nationalrat will Gelder für Kinder von IV-Rentnern kürzen

IV-Rentnerinnen und -Rentner sollen für ihre Kinder weniger Geld erhalten. Der Nationalrat hat sich am Donnerstag dafür ausgesprochen, die Kinderrenten zu kürzen.
Publiziert: 07.03.2019 um 08:31 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2019 um 14:56 Uhr

Mit 106 zu 66 Stimmen bei 10 Enthaltungen hiess die grosse Kammer eine Regelung gut, welche die Sozialkommission in die Revision des IV-Gesetzes eingebaut hatte. Es geht um das Geld für Kinder von IV-Rentnern, das heute «Kinderrente» genannt wird und künftig «Zulage für Eltern» heissen soll. Die Zulage soll von 40 auf 30 Prozent der Rente gesenkt werden.

Neben der SVP und der FDP unterstützte auch die Mehrheit der Mitteparteien die Kürzung. Die Befürworterinnen und Befürworter argumentierten, bei der Invalidenversicherungen seien weiterhin Sparmassnahmen nötig. Mit der Senkung der Kinderrenten könnten 112 Millionen Franken im Jahr eingespart werden.

Ausserdem führten die heutigen Renten bei kinderreichen Familien zu falschen Anreizen. Es dürfe nicht sein, dass Familien mit IV-Rente besser gestellt seien als Familien, die ihren Unterhalt selber verdienten, sagte Ruth Humbel (CVP/AG). Bei einer vollen IV-Rente von 2370 Franken betrage die Kinderrente heute 948 Franken pro Kind. Unter Umständen kämen noch Familienzulagen von einem erwerbstätigen Elternteil hinzu.

Gegen die Kürzung stellte sich die Ratslinke. Es gehe um über 70'000 Kinder von IV-Bezügern und über 26'000 Kinder von AHV-Bezügern, sagte Maya Graf (Grüne/BL). Eine Kürzung wäre unverantwortlich und beschämend. Sie könnte Familien in Not bringen. Die Betroffenen müssten Ergänzungsleistungen beantragen, womit die Kosten lediglich verlagert würden.

Silvia Schenker (SP/BS) bezeichnete die geplante Rentenkürzung als «unnötige Machtdemonstration gegenüber den Schwächsten". Bereits heute sorge eine Regelung dafür, dass es nicht zu einer Überversicherung komme.

Sozialminister Alain Berset sprach sich ebenfalls dafür aus, in diesem Punkt beim geltenden Recht zu bleiben. Fast die Hälfte der IV-Bezüger habe schon heute Anspruch auf Ergänzungsleistungen, gab er zu bedenken.

Würden die Kinderrenten gesenkt, rechne der Bund mit Zusatzkosten bei den Ergänzungsleistungen von 47 Millionen Franken. Ausserdem sei der Bund dabei, das System der Kinderrenten zu analysieren. Das Parlament sollte das Resultat abwarten.

Auf Bundesratskurs blieb der Rat beim stufenlosen Rentensystem, das er guthiess - ebenfalls gegen den Willen der Linken. Das Ziel ist, dass Menschen mit Behinderungen ihre Restarbeitsfähigkeit nutzen. Arbeit soll sich für IV-Bezüger in jedem Fall lohnen. Heute ist das wegen Schwelleneffekten nicht immer der Fall.

In einem idealen Arbeitsmarkt wäre dagegen nichts einzuwenden, sagte Schenker. Es mangle aber an geeigneten Arbeitsplätzen. Sie kenne viele, die sehr gerne arbeiten würden, wenn sie eine Stelle finden würden.

Eine Vollrente soll - wie heute - ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent zugesprochen werden. Bei der letzten IV-Revision, die das Parlament 2013 versenkte, war diese Frage heftig umstritten. Der Nationalrat sprach sich dreimal für 70 Prozent aus, der Ständerat dreimal für 80 Prozent.

Bereits laufende Renten sollen nach dem neuen System berechnet werden, wenn die versicherte Person bei Inkrafttreten noch nicht 60 Jahre alt ist und sich der Invaliditätsgrad um mindestens 5 Prozentpunkte ändert. Minderheiten beantragten, alle über 50-Jährigen auszunehmen oder das stufenlose System nur für Neurenten anzuwenden. Diese Anträge lehnte der Rat aber ab.

Nein sagte der Nationalrat ferner zu einem Antrag von linker Seite für eine Quote. Er will Unternehmen mit mehr als 250 Angestellten nicht verpflichten, mindestens ein Prozent Arbeitnehmende mit einer Behinderung zu beschäftigen. Schenker argumentierte vergeblich, alle Eingliederungsbemühungen nützten nichts, wenn es an Arbeitsplätzen für die Betroffenen mangle.

Die bürgerlichen Fraktionen plädierten für Freiwilligkeit. Eine Verpflichtung wäre kontraproduktiv, sagte Bruno Pezzatti (FDP/ZG). Kommissionssprecher Christian Lohr (CVP/TG) gab zu bedenken, es könnte für die Betroffenen stigmatisierend sein, wenn sie als «Quotenbehinderte» eingestellt würden. Der Bundesrat soll indes mit den Dachverbänden der Arbeitswelt Vereinbarungen abschliessen können. Das hat der Rat mit 95 zu 93 Stimmen knapp gutgeheissen.

Bereits am Mittwoch hatte der Nationalrat über Massnahmen entschieden, welche die Eingliederung Jugendlicher und psychisch Kranker fördern sollen - namentlich durch die Früherfassung. Dass es hier noch Verbesserungspotenzial gibt, war unbestritten.

Künftig sollen Jugendliche schon ab dem 13. Altersjahr der IV gemeldet werden können, wenn der Eintritt ins Berufsleben gefährdet ist. Der IV gemeldet werden sollen zudem nicht nur arbeitsunfähige, sondern auch von einer länger dauernden Arbeitsunfähigkeit bedrohte Personen. Das Ziel ist, dass die IV Unterstützungsmassnahmen ergreifen kann.

Ja sagte der Nationalrat ferner zu Änderungen bei den Taggeldern für junge Erwachsene. Um den Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu erhöhen, soll das Taggeld der Höhe eines Lohns für Lernende angeglichen werden. Weitere Gesetzesänderungen betreffen Geburtsgebrechen. Der Nationalrat ist einverstanden damit, dass für diese klare Kriterien im Gesetz verankert werden. Ergänzt hat der Rat Regeln, um die Qualität von Gutachten im Auftrag der IV sicherzustellen.

In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat die Vorlage mit 133 zu 0 bei 55 Enthaltungen gut. Der Stimme enthalten haben sich SP und Grüne sowie die beiden EVP-Vertreter. Nun ist der Ständerat am Zug.

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