Vom Parlament entmachtet
Brasiliens Präsidentin Rousseff muss gehen

Der brasilianische Senat hat klar für das Amtsenthebungsverfahren von Präsidentin Dilma Rousseff gestimmt. Sie wird zunächst für 180 Tage suspendiert. Schon heute muss sie den Präsidentenpalast verlassen.
Publiziert: 12.05.2016 um 11:40 Uhr
|
Aktualisiert: 11.09.2018 um 18:55 Uhr
Dilma Rousseff muss den Palast noch heute verlassen.
Foto: imago/Agencia EFE

Nötig war eine einfache Mehrheit, es wurde aber eine Zweidrittelmehrheit erreicht. Der Präsidentin werden eigenmächtige Kreditvergaben und Bilanztricks zur Verschleierung der wahren Haushaltslage vorgeworfen.

Der 75-jährige Vizepräsident Michel Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), die die Koalition mit der Arbeiterpartei Rousseffs im März aufgekündigt hatte, will noch am Donnerstag das Amt übernehmen. 

Er will ein Kabinett ohne Beteiligung der seit 2003 regierenden linken Arbeiterpartei bilden. Temer wird nun auch die Olympischen Spiele am 5. August in Rio de Janeiro eröffnen.

Sie spricht von einem «Putsch»

Rousseff weist die Vorwürfe zurück und spricht von einem «Putsch». Sie sei bis zum 31. Dezember 2018 gewählt, einen Rücktritt schliesst sie aus.

In den 180 Tagen werden die Vorwürfe unter Beteiligung des Obersten Gerichtshofs geprüft. Dann müsste der Senat mit einer Zweidrittelmehrheit über eine endgültige Amtsenthebung entscheiden. Wird das Quorum verfehlt, würde Rousseff wieder das Amt übernehmen.

Erstmals seit 13 Jahren wird zumindest für das nächste halbe Jahr eine Regierung ohne Beteiligung der Arbeiterpartei das Land führen. Einen letzten Einspruch der Regierung gegen das Absetzungsverfahren wies der Oberste Gerichtshof des Landes am Mittwoch zurück. Bisher gibt es 31 Ministerien, Temer will die Zahl deutlich verringern.

Solch ein Amtsenthebungsverfahren gab es in Brasilien erst einmal. 1992 wurde Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen suspendiert - und trat schliesslich zurück. Er ist heute Senator und verurteilte in der Sitzung die Regierung als katastrophal.

Rousseff, seit 2011 an der Macht, war zuletzt eine Präsidentin mit weniger Volksnähe und Charisma als ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva. In dessen Amtszeit wuchs die Wirtschaft kräftig, auch dank der sprudelnden Öleinnahmen.

Brasilien befindet sich in einer Blockade

Rund 40 Millionen Menschen seien dank Sozialprogrammen und Mindestlöhnen aus der Armut befreit worden, betont Rousseff. Nun ist das Land in einer tiefen Rezession, ein Korruptionsskandal aus Lulas Amtszeit hat Rousseff eingeholt, sie war damals Aufsichtsratschefin des im Fokus stehenden Petrobras-Konzerns. Über elf Millionen Menschen sind arbeitslos.

Seit Wochen ist das Land wegen des Ringens um ihre Amtsenthebung politisch handlungsunfähig. Als sich die klare Zustimmung zu der Suspendierung Rousseffs abzeichnete, stieg der Kurs an der Börse in São Paulo und der Real gewann gegenüber dem Dollar. Temer will mit Privatisierungen und Entlassungen im Staatsdienst das hohe Defizit in den Griff bekommen.

Mit umfassenden Reformen will er die kriselnde Wirtschaft ankurbeln, das Bruttoinlandsprodukt der bisher siebtgrössten Volkswirtschaft war 2015 um 3,8 Prozent eingebrochen, für dieses Jahr sieht es nicht besser aus. 

Der frühere Zentralbank-Chef Henrique Meirelles soll Finanzminister werden, zuletzt waren die Staatsanleihen von den Ratingagenturen auf Ramschniveau gesenkt worden. Umweltschützer befürchten mehr Regenwaldabholzungen. Temer will zum Beispiel den umstrittenen «Sojabaron» Blairo Maggi zum Agrarminister machen. (sda)

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?