Eine Arbeitslose putzt im Wintergarten ihrer Tante. Was sie nicht weiss: Hinter der Gartenhecke steht ein Detektiv im Auftrag der Arbeitslosenversicherung, die Schwarzarbeit und Betrug vermutet. Der «Matula»-Verschnitt macht Ton- und Bildaufzeichnungen, hat an ihrem Auto einen GPS-Peilsender angebracht und weiss jederzeit, wo sie sich aufhält...
Alle könnten betroffen sein
Fiktion? Noch! Nach dem Willen der ständerätlichen Sozialkommission (SGK) sollen solch systematische Observationen künftig erlaubt sein, um Sozialmissbrauch aufzudecken. Auftraggeber könnten IV, AHV, Unfallversicherung, Krankenkassen oder die Durchführungsstellen der Ergänzungsleistungen sein.
Die Bedingungen: Erstens «konkrete Anhaltspunkte», dass die beobachtete Person unrechtmässig Leistungen bezieht oder zu erhalten versucht. Zweitens muss ein anderes Vorgehen «aussichtslos» oder «unverhältnismässig erschwert» sein. Drittens muss ein Versicherungsangestellter mit Direktionsfunktion die Observation genehmigen.
Eigentlich wollte die SGK im Sozialversicherungsrecht nur die frühere, wilde Überwachungspraxis bei vermutetem Versicherungsbetrug regeln. Dies, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz wegen fehlender Gesetzesgrundlagen gerüffelt hatte. Jetzt aber will die Kommission den Sozialversicherungen mehr erlauben als Nachrichtendienst und Strafverfolgungsbehörden dürfen.
Juristen schlagen Alarm
Die Strafprozessordnung und das Nachrichtendienstgesetz verlangen für den Einsatz von Peilsendern eine vorgängige Bewilligung durch ein Gericht; das Nachrichtendienstgesetz sogar die Genehmigung des Verteidigungsministers. Rechtsprofessoren sind daher entsetzt: Ihnen ist bange vor Versicherern, die künftig «in Eigenregie, weitgehend ohne klare Grenzen und ohne wirkungsvollen Rechtsschutz» Klienten dauerüberwachen, warnen sie die Ständeräte in einem Brief.
Linke plädieren für Mässigung
«Mit dem neuen Gesetzesartikel würden Sozialversicherungsklienten auf blossen Verdacht hin wie gefährliche Straftäter behandelt», stört sich auch der St. Galler SP-Ständerat Paul Rechsteiner (65) am Vorschlag seiner bürgerlichen Ratskollegen.
Missbrauchsbekämpfung, so stellt Rechsteiner klar, sei nötig, daher setze sich auch die Linke im Ständerat für eine gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten ein. «Aber bitte in rechtsstaatlichem Rahmen!»
Konkret fordert Rechsteiner, dass Observationen nur bei dringendem Verdacht angeordnet werden dürfen und vorgängig von einem Richter des kantonalen Versicherungsgerichts genehmigt werden müssen. Ebenso seien die Überwachungen auf «allgemein zugängliche Orte» (etwa auf die Strasse) zu beschränken und nicht auf frei einsehbare Orte zu erweitern (von der Strasse in den Garten).
Bürgerliche wollen möglichst einfache Anwendung
Bürgerliche Ständeräte möchten jedoch ein möglichst einfach anwendbares Gesetz. «Eine richterliche Genehmigung würde die Hürden unnötig erhöhen», sagt CVP-Ständerat Konrad Graber (59). Der Luzerner verteidigt auch die GPS-Peilsender sowie Bild- und Tonaufnahmen. Dass die Versicherer ihre neue Macht missbrauchen, glaubt er nicht: «Sie tragen die Kosten und sind bei rund 150 Verdachtsfällen pro Jahr nicht an unnötigen langen Beobachtungen interessiert.»
Am Donnerstag diskutiert der Ständerat über den Vorschlag. Möglich, dass das Gesetz noch schmieriger wird. Denn Vertreter von FDP und SVP möchten verhindern, dass der Bundesrat in einer Verordnung weitere Details definiert, zum Beispiel die beruflichen Anforderungen für die Sozial-Spione. Ohne diese könnten selbst Versicherungsangestellte ohne Polizeierfahrung «Detektiverlis» mit möglicherweise grossen Folgen spielen.