Die Nation hat Tage der blumigen Worte hinter sich. Auf dem Bürgenstock bedankte sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) bei der Schweiz als «Vermittlerin und Friedensförderin». Bundespräsidentin Viola Amherd (62) feierte die neue Freundschaft mit dem kriegsgebeutelten Land. Die Harmonie wurde vergangene Woche in Strassburg auch von Alain Berset (52) beschworen: «Oberste Priorität wird die Ukraine haben», versprach der alt Bundesrat nach seiner Wahl zum Generalsekretär des Europarats.
Hinter der glänzenden Fassade allerdings wurden die Risse zwischen Bern und Kiew sichtbar. Denn Bersets Kür ging am Dienstag nicht so harmonisch vonstatten, wie es den Anschein macht.
Berset als «Gefahr für den Europarat»
Nach dem ersten Wahlgang, bei dem sich ein Sieg des Schweizers abzeichnete, steckten Bersets Gegner die Köpfe zusammen: Zur Runde gehörten dessen zwei Herausforderer, der Este Indrek Saar (51) und der Belgier Didier Reynders (65) sowie Frank Schwabe (53), der Chef der sozialdemokratischen Fraktion. Alsbald zeigte sich, was die Verschwörer zuvor ausgeheckt hatten: Ein Vertreter der estnischen Delegation eilte vor die Spitze der liberalen Fraktion (Alde) und hielt ein flammendes Plädoyer gegen Berset. Dieser nehme problematische Positionen im Ukraine-Krieg ein, offenbare sich als verdächtig Putin-freundlich, warnte der Redner, und sei deshalb eine «Gefahr für den Europarat». Mehrere Zeugen bestätigen gegenüber SonntagsBlick diese Wortwahl.
Die Aktion blieb erfolglos: Alain Berset wurde mit 114 von 245 Stimmen gewählt, der Este machte 85, der Belgier 46 Stimmen. Doch bleiben drei bittere Erkenntnisse für den frisch Gewählten:
Erstens wurde Berset mehrheitlich nicht von seinen sozialdemokratischen Genossen im Europarat unterstützt, sondern von den Konservativen, Mittevertretern und Linksparteien. Dass es schliesslich reichte, hat mit der beflissenen, überparteilichen Schweizer Lobbyarbeit unter Führung von Delegationsleiter Alfred Heer (62) zu tun.
Zweitens hat Berset bei der ukrainischen Delegation keinen guten Stand. Gemäss Recherchen kamen die dortigen Stimmen aus dem Poroschenko-Lager, also von den Mitgliedern der ukrainischen Opposition. Beim Selenski-Flügel hingegen wird der Freiburger erst noch Vertrauen schaffen müssen.
Die dritte Erkenntnis sollte ganz Bundesbern zu denken geben: In Strassburg kursiert die plausible Theorie, dass das Störmanöver gegen Bersets Wahl niemals ohne Unterstützung aus Kiew hätte stattfinden können. Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, was die inszenierte Minne vom Bürgenstock wert ist, wenn die Ukrainer nur Tage später bei einem der wichtigsten Personalgeschäfte der Eidgenossenschaft an einer Intrige mithelfen.
Einmal mehr zeigt sich: Aussenpolitik ist Interessenpolitik, nicht Freundschaftspflege mit blumigen Worten.