Hier heulen die Sirenen in Mitrovica
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Spannungen im Kosovo:Hier heulen die Sirenen in Mitrovica

Schüsse und Barrikaden an Grenze zwischen Serbien und Kosovo – Balkan-Experte erklärt
«Der Kreml versucht, das hochzuspielen»

Militante Serben blockieren die Zufahrtswege zu Grenzübergängen vom Kosovo nach Serbien. Schüsse fallen. Grund ist der Unmut über eine geplante Neuregelung für die Einreise ins Nachbarland. Balkan-Experte Daniel Bochsler ordnet für Blick ein.
Publiziert: 02.08.2022 um 00:50 Uhr
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Die Lage im Nordkosovo ist angespannt.
Foto: Screenshot Le Canton 27
Tobias Ochsenbein

Im Kosovo kommt es am Sonntag wegen einer neuen Grenzregelungen in dem überwiegend von Serben bewohnten Nordkosovo zu Spannungen an der Grenze. Militante Aktivisten verbarrikadieren die Strassen nach Jarinje und Brnjak mit schweren Baumaschinen. Es gibt Berichte über Schüsse auf kosovarische Polizisten, die zum Glück niemanden verletzen. Und über heulende Luftschutzsirenen.

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Spannungen im Kosovo:Hier heulen die Sirenen in Mitrovica

In der Nacht schalten sich internationale Diplomaten ein. Am Montag geben die kosovarischen Behörden bekannt, die umstrittene Massnahme vorerst verschieben zu wollen.

«Es geht um administrative Fragen»

Daniel Bochsler (43), Politikprofessor an der Central European University (CEU) in Wien und an der Universität Belgrad sagt Blick: «Im neusten Streit geht es darum, dass viele Bewohnerinnen und Bewohner des Nordens weiterhin mit von Serbien ausgegebenen Autokennzeichen fahren. Aber: Die Regierung Kosovos will den Gebrauch serbischer Autokennzeichen unterbinden.»

Zudem wolle sie vom serbischen Staat ausgestellte Identitätsausweise für die Bewohnerinnen und Bewohner des Kosovos nicht mehr akzeptieren. Eine Gegenmassnahme dafür, dass das Nachbarland Serbien seit mehreren Jahren kosovarische Dokumente nicht anerkennt. «Letztlich geht es um administrative Fragen, wer die Kontrolle über den Norden hat», erklärt Bochsler.

Der Hintergrund: Die Regierung Kosovos versucht laut Bochsler, die Lage im Norden des Landes zu normalisieren – also im Gebiet, in dem mehrheitlich Serben leben. Gemäss der Verfassung Kosovos haben die Serben in den Gemeinden des nördlichen Kosovos weitgehende Autonomierechte, aber sie sind Teil des Kosovos. Gleichzeitig aber erhielt Serbien in den nördlichen Gemeinden nach Ende des Krieges parallele Verwaltungsstrukturen aufrecht, und die lokalen Machthaber leisteten Widerstand gegen die Durchsetzung der kosovarischen Rechtsordnung.

Beidseitige Machtdemonstration

Balkan-Experte Bochsler erklärt, solche Eskalationen und Blockaden der Grenze habe es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Nämlich immer dann, wenn es um die Integration des Nordkosovos ging. «Beide Seiten demonstrieren so ihre Macht, und zwingen die jeweils andere Seite an den Verhandlungstisch. Aber die Sicherheit im Kosovo wird von Nato-Truppen und einem kleinen Schweizer Truppenkontingent gewährt, ein Krieg droht da nicht.»

Bloss: Auch der russische Einmarsch in die Ukraine hat auf dem Balkan alte Konflikte neu befeuert. Denn: Serbien pflegt traditionell enge Beziehungen zu Russland. Viele Medien haben im Ukraine-Krieg Partei für Wladimir Putin (69) ergriffen. Auf den Strassen gab es prorussische Demonstrationen, die Welt reagierte schockiert. Viele fragten sich: Bricht der Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien wieder aus?

«Die vom Kreml kontrollierten Medien versuchen, diese Geschichte nun hochzuspielen und als eine möglicherweise kriegerische Eskalation darzustellen. Der Kreml verfolgt seit Jahren eine Politik der Destabilisierung der Friedensordnung in der Region, zugunsten eines Grossserbiens», sagt Daniel Bochsler.

Alles nur, um Sanktionen gegen Russland nicht mittragen zu müssen?

Einige nationalistische Politiker in Serbien seien darauf aufgesprungen. Ein Teil der serbischen Nationalisten pflege auch enge Kontakte mit dem Kreml. «Das passt perfekt in die russische Strategie, die westliche Ordnung in der Peripherie Europas zu schwächen, und im Gegenzug selber politische und geschäftliche Beziehungen zu etablieren», so Bochsler.

Der Experte hält fest: «Bis jetzt wurden diese Eskalationen immer so beendet, dass die serbische Regierung, die bedeutenden Einfluss auf die Kosovo-Serben ausübt, nach ein paar lauten Tönen an einer friedlichen Lösung mitwirkt.» Im Kontext der russischen Aggression gegen die Ukraine würde dies der serbischen Regierung erlauben, im Kosovo-Konflikt als konstruktive Kraft aufzutreten. «Dadurch dürfte dann vielleicht der diplomatische Druck ein wenig sinken, dass Serbien die europäischen Sanktionen gegenüber Russland und Belarus mittragen soll.»

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