Hat Moskau den Widerstand der Ukrainer unterschätzt? Der Chef der russischen Nationalgarde, Viktor Solotow (68), ist der erste ranghohe Beamte auf russischer Seite, der Probleme bei der Invasion einräumt. «Ich möchte sagen, dass ja nicht alles so schnell läuft, wie man sich das wünschen würde», schreibt Solotow auf der Website der Nationalgarde.
Die Nationalgarde ist dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) direkt unterstellt und hat wie die russische Armee auch Truppen in der Ukraine. Solotow macht rechtsextreme Kräfte in der Ukraine, welche die Zivilbevölkerung als Schutzschild missbrauchten, für den langsamen Fortschritt der russischen Streitkräfte verantwortlich. Diese würden sich hinter friedlichen Bürgern – darunter Frauen und Kinder – in Schulen, Kindergärten und Wohnhäusern verstecken.
4000 ukrainische Militärobjekte zerstört
Auch das Verteidigungsministerium in Moskau äussert sich ernüchtert. Im Morgenbriefing vom Montag räumt der Sprecher ein, die Separatisten träfen in der Region Luhansk auf starken Widerstand. Im Nordosten der 100'000-Einwohner-Stadt Sjewjerodonezk liefen Kämpfe gegen «Nationalisten». Die russische Armee drang nach eigenen Angaben indes weitere elf Kilometer in der Ostukraine vor.
Dem russischen Verteidigungsministerium zufolge haben die russischen Streitkräfte seit Kriegsbeginn am 24. Februar rund 4000 ukrainische Militärobjekte zerstört, darunter mehr als 1200 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Putin hatte seinen Einmarsch in die Ukraine unter anderem damit begründet, dass er das vom Westen mit Waffen ausgerüstete Land «entmilitarisieren» wolle.
Opferzahlen unübersichtlich
Die Uno zählt in dem Konflikt bisher mindestens 570 getötete Zivilisten. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte gibt nur Todes- und Verletztenzahlen bekannt, die es selbst unabhängig überprüft hat. Die ukrainische Regierung geht von weitaus höheren Zahlen aus. Ukrainischen Angaben zufolge kamen seit Beginn der Invasion allein in der umkämpften Stadt Mariupol 2187 Zivilisten ums Leben.
Erste Zivilisten gelang die Flucht aus der belagerten Stadt Mariupol. Rund 160 Autos haben nach ukrainischen Angaben am Montag über einen Fluchtkorridor die Stadt verlassen. Bisherige Flucht-Versuche waren bislang immer wieder gescheitert. Die Schuld dafür schieben sich beide Seiten gegenseitig zu.
Für besonderes Entsetzen sorgte vor einigen Tagen ein russischer Angriff auf eine Geburtsklinik in Mariupol. Moskau erklärte, das Gebäude sei von ukrainischen Kämpfern genutzt worden und warf der Gegenseite Manipulation vor. Von ukrainischer wie auch von UN-Seite jedoch hiess es, dass es sich um eine funktionierende Geburtsklinik gehandelt habe. (noo)