Es gibt vieles, über das ich mich ärgere, wenn ich die Amoris Laetita des Papstes lese. Würde meine Arbeit strikt auf der katholischen Haltung aufbauen, müssten unzählige Menschen in ihrem Wesen und mit ihrer Situation zweitklassig behandelt werden. Und das ist schlicht und einfach keine Option.
Trotz allem findet man in der Papstschrift auch mindestens einen Beziehungstipp, der wichtig und zeitgemäss ist. Fokussieren wir uns also im Sinne der Nächstenliebe auf diesen positiven Aspekt.
Der Kirchenführer fordert Männer und Frauen zu Langmut auf. Eine Bitte, verpackt in einem altertümlichen Wort, die topaktuell ist. Langmut ist laut Duden eine «durch ruhiges, beherrschtes, nachsichtiges Ertragen oder Abwarten von etwas gekennzeichnete Verhaltensweise». Oder mit anderen Worten: Geduld und Nachsicht. Das wiederum sind Dinge, mit denen viele Paare heute leider geizig umgehen.
Wir treiben uns heute an, als Individualisten maximales Glück zu finden. Wir optimieren unser Selbst und unser Leben und zu diesem Leben gehört auch eine erfüllende Liebe. In diesem Prozess tun wir uns grässlich schwer damit, Unzulänglichkeiten auszuhalten. Was nicht passt und nicht sofort passend gemacht werden kann, wird ausgetauscht. Egal ob Mensch oder Maschine.
Langmut als Mittel im Umgang mit einer Beziehungskrise? Zu zeitraubend. Und irgendwie auch schrecklich unsexy, in einer Zeit, in der schnelle und laute Attraktion regiert. Aber ohne Geduld und Nachsicht geht es in der Liebe nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn man im Sinn hat, über längere Zeit mit jemandem zusammen zu sein.
Dabei ist der Papst sehr klar, dass es bei der gewünschten Langmut nicht darum geht, sich ständig schlecht behandeln zu lassen oder Verletzungen und Abwertungen einfach hinzunehmen. Dieser Punkt ist essentiell. Franziskus fordert nicht einfach zu stillem Leiden und Ausharren auf, aber dazu, zu anerkennen, dass Beziehungen nicht immer nur himmlisch sind und Menschen eben alles andere als vollkommen.
Die Frage «Gehen oder bleiben?» gehört zu den am häufigsten gestellten in der Sexberatung des BLICKs. Sie mag von aussen betrachtet im Vergleich mit anderen Zuschriften eher fad wirken, für die Betroffenen aber geht es um das gemeinsam aufgebaute Leben und das emotionale Zuhause. In so einer Krise herauszuschälen, ob es sich lohnt, zu bleiben oder ob man schweren Herzens gehen soll, ist eine gewaltige, meist quälende Aufgabe. Dabei Geduld und Nachsicht oder eben Langmut zu einer Priorität zu machen, ist ein guter Rat. Egal, ob er von einer Sexberaterin kommt oder vom Papst und egal, was sonst noch in der Amoris Laetitia steht.