Die Proteste gegen die in Israel geplanten Justizreformen lassen die Angst vor einem Ende der letzten Demokratie im Mittleren Osten aufflammen. Sogar US-Präsident Joe Biden (80) schaltet sich in die innenpolitischen Angelegenheiten der Israelis ein.
In der Nacht auf Mittwoch verkündete Biden, dass er nicht plane, Israels Premierminister Benjamin Netanyahu (73) nach Washington einzuladen. Eine Aussage mit Signalwirkung.
Er sei als überzeugter Unterstützer Israels besorgt, sagte Biden. «Sie können nicht weiter diesen Weg gehen.» Später ergänzte Biden, er hoffe, dass Netanyahu die Justizreformpläne aufgebe. Netanyahu entgegnete bei Twitter, er schätze zwar Bidens Unterstützung. Aber Israel sei ein souveränes Land, das Entscheidungen nicht auf Druck aus dem Ausland hin treffe, «auch nicht von den besten Freunden».
Es war ein unangenehmes Gespräch zwischen alten Freunden. Ein Gespräch, das aufgezeigt hat, wie schwerwiegend diese Justizreformen für den internationalen Status Israels sein könnten. Die USA gelten als wichtigste Verbündete Israels. Doch seit Netanjahu mit seiner neuen, radikalen Regierung wieder an der Macht ist, bröckeln die Beziehungen zum Weissen Haus.
US-Unterstützung für Israel könnte schwinden
Ein Kommentator der Nachrichtenseite «ynet» verglich Bidens Worte mit einer Bombe, «die für Netanyahu politisch gesehen mit Hiroshima zu vergleichen ist». Ist das also das Ende der guten amerikanisch-israelischen Beziehungen? Jonathan Rynhold (54) ist Professor und Leiter der politischen Fakultät an der israelischen Bar-Ilan-Universität. Im Gespräch mit Blick erklärt er: «Was aktuell passiert, wirft viele Fragen zur amerikanischen Unterstützung Israels auf.»
Denn die beinahe bedingungslose Unterstützung Israels beruht laut Rynhold auf drei Pfeilern: Israel ist das mächtigste, stabilste und demokratischste Land im Mittleren Osten. Vor allem der letzte Punkt sichert dem Land den Support der amerikanischen Regierung. «Wenn die Justizreformen durchgesetzt und Israels Demokratie ausgehebelt wird, fällt der wichtigste der drei Faktoren weg.» Und somit wohl auch ein Teil der Unterstützung aus den USA.
Ein kompletter Bruch der beiden Länder sei aber unwahrscheinlich. Bidens Worte sollen als Warnschuss gelten. Einerseits sei Israel als «das stabilste Land» des Mittleren Ostens zu wichtig für die Sicherheitsbestreben der USA, so Rynhold. Durch die militärische Unterstützung der USA ermöglicht es Israel, sich gegen den Iran und die Bedrohung durch islamistischen Radikalismus zu wehren. Zwei Themen, die Biden schlaflose Nächte bereiten.
Andererseits würde fehlende militärische und diplomatische Unterstützung aus Amerika ein Ende des Israels, wie man es kennt, bedeuten. «Jedes Anzeichen dafür, dass sich die schützende Hand der USA von Israel zurückzieht, könnte die Lage in der Region destabilisieren.» Das wäre weder im Interesse der USA, noch gut für Israel.
Netanyahu krebst teilweise zurück
Derweil gehen in Israel die Demonstrationen unvermindert weiter, am Sonntag waren sie besonders heftig. Das Chaos folgte auf die Entlassung von Verteidigungsminister Joaw Gallant (64), der eine Pause bei den Veränderungen gefordert hatte.
Am Montag krebste Netanyahu zurück – zumindest teilweise. Er kündigte an, er werde die Entscheidung zu den Reformen verschieben, um «einen Bürgerkrieg zu vermeiden» und Zeit für die Suche nach einem Kompromiss zu gewinnen. Einen Rückzug der Reformen stellt er allerdings immer noch nicht in Aussicht.