Das berichten Forschende unter der Leitung der Verhaltensbiologin Marlene Fröhlich von der Universität Zürich im Fachmagazin «iScience».
Sie untersuchten das Gesten- und Mimik-Repertoire von Borneo- und Sumatra-Orang-Utans in der Wildnis sowie in fünf Zoos. Insgesamt erfassten die Forschenden mit Videoaufnahmen 11'000 Signale, die sie in 41 verschiedene Gesten und Mimiken einteilten. Die Mehrzahl dieser Signaltypen, nämlich deren dreissig, wurden sowohl in freier Wildbahn als auch in Zoos beobachtet, etwa Umarmungen, Küsse oder Streicheln. Affen, die sich laut kratzten oder einen Gegenstand schüttelten, gab es hingegen nur in der Wildnis.
Die spektakulärsten Kunststücke, insgesamt deren neun, vollführten die Orang-Utans jedoch ausschliesslich im Zoo: Um mit ihren Artgenossen zu kommunizieren, rollten sie sich auf den Rücken, machten Kopfstände, schlugen Purzelbäume und drehten Pirouetten. Zudem ertappten die Forschenden die Affen im Zoo viel häufiger als in der freien Wildbahn dabei, wie sie einen Artgenossen über die Schulter anblickten, sich auf einen anderen Affen warfen oder mit dem Kopf wiederholt gegen dessen Körper schlugen.
Die Forschenden haben mehrere Erklärungen, wieso die in Zoos lebenden Orang-Utans ein vielfältigeres Kommunikationsrepertoire aufweisen. Einerseits spiele wohl die andere Umgebung eine wichtige Rolle: Während Orang-Utans auf Borneo und Sumatra vor allem auf Bäumen lebten, treffe man sie im Zoo häufiger auf dem Boden an. Erst diese Lebensweise - freie Hände, genug Platz und ein ebener Untergrund, ermöglicht den Orang-Utans, Purzelbäume zu schlagen oder Kopfstände zu vollführen.
Andererseits ist das Sozialleben im Zoo ein ganz anderes. «Vor allem die Orang-Utans auf Borneo gelten als Einzelgänger, aber auch auf Sumatra sind sie wenn, dann nur für relativ kurze Zeit in kleinen Gruppen unterwegs», erklärte Fröhlich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Durch das ständige Miteinander werde in Zoos natürlich mehr gespielt und häufiger gezankt. So schubsen sich Orang-Utans in Gefangenschaft oder präsentieren ihren Artgenossen ein Holzstöckchen oder Kisten, womit sie ihr Gegenüber zum Spielen auffordern.
Es sei unglaublich spannend zu sehen, wie flexibel die Tiere seien und sich an neue Umgebungen anpassen könnten, sagte die Verhaltensbiologin Fröhlich: «Bei anderen Affenarten wurden solch grosse Unterschiede zwischen Wildnis und Zoo noch nicht beobachtet.»
Die Forscherin interessiert sich nun insbesondere für die Frage, ob die Flexibilität im Verhalten in den Genen vorprogrammiert ist und erst durch die neuen Umweltbedingungen hervorgerufen wird oder ob es sich tatsächlich um reine Innovation handelt.
Um dieses Rätsel ein Stück weit zu knacken, startet Fröhlich mit ihrem Team nun ein grosses Forschungsprojekt: «Wir werden das Verhalten nicht nur von Orang-Utans, sondern auch von Schimpansen in freier Wildbahn und im Zoo untersuchen und uns ebenfalls auf den Menschen konzentrieren.» So möchten die Forschenden das Kommunikationsverhalten industrialisierter Gesellschaften mit demjenigen von Jäger-Sammler-Gemeinschaften vergleichen.
https://doi.org/10.1016/j.isci.2021.103304
(SDA)