Mundart-Rapper Bligg ganz offen
«Ich bin weg vom Markt»

Jugend und Vaterschaft, Musik und Smartphones, eine Schweiz ohne Angstmacherei: Bligg zieht ein Fazit vom turbulenten Jahr 2014.
Publiziert: 30.12.2014 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:31 Uhr
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«Wir verliebten uns fünf Monate, bevor Tizi schwanger wurde. Das ist schon sehr speziell.»
Foto: Mirko Ries
Von Dominik Hug

BLICK: Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Wenn Sie zurückschauen, welches Fazit ziehen Sie?
Bligg: 2014 war sicher eines meiner turbulenteren Jahre. Ich veröffentlichte die «Service Publigg»-CD, ging auf Tournee, machte Videos. Ich habe meine Firma ausgebaut, ein Haus gekauft, ein Studio eingerichtet und am wichtigsten: Ich habe meine Freundin Tizi kennengelernt, und sie ist schwanger geworden. Einfach verrückt, alles!

Sie werden Ende Mai mit 38 erstmals Vater. Was wird es, Bub oder Mädchen?
Wir wissen es nicht. Das Baby ist so aktiv in Tizis Bäuchlein, dass wir das Geschlecht noch nicht erkennen konnten. Für mich macht es aber keinen Unterschied. Hauptsache, das Kind ist gesund.

Ist es ein Wunschkind?
Oh ja, obwohl ich Tizi noch nicht lange kenne. Wir verliebten uns fünf Monate, bevor sie schwanger wurde. Das ist schon sehr speziell. Einem Kollegen von mir ergings ähnlich. Damals dachte ich, wie kann er nur. Man muss doch erst ein paar Jahre mit der Frau zusammen sein, um herauszufinden, ob sie die Richtige ist. Jetzt ist es mir passiert und es passt.

Warum gerade Tizi?
Wir ticken gleich, haben dieselben Interessen, stehen an ähnlichen Punkten im Leben. Wir lieben uns und sorgen füreinander. Warum sollen wir noch länger warten? Den perfekten Zeitpunkt gibt es ohnehin nie. Eigentlich wäre ich sogar gerne früher Papi geworden.

Ist Hochzeit ein Thema?
Ja, natürlich. Eine Heirat ist nicht ausgeschlossen. Ich weiss, zu wem ich gehöre und bin weg vom Markt (lacht). Jetzt hat aber erstmal das Baby oberste Priorität.

Ist es eigentlich ein Vorteil, wenn beide Partner im gleichen Geschäft sind?
In unserem Fall sicher. Tizi versteht genau, was ich mache. Sie ist als Tänzerin ja auch mit mir auf Tournee. Davor war sie jahrelang unterwegs mit Stars wir Rihanna, Black Eyed Peas, Florence and the Machine. Sie kennt das Geschäft sehr genau. Zu Beginn unserer Beziehung machte sie mir eines der schönsten Komplimente. Sie sagte: Das, was du machst, ist echt gut, das hat internationales Niveau. Das hat mich wahnsinnig berührt.

Sie sind der erfolgreichste Musiker der Schweiz. Wie gut kann man heute noch von den CD-Verkäufen leben?
Ich bin etabliert und lebe deshalb relativ gut. Aber es gibt hierzulande wohl nur noch sehr wenige Künstler, die allein von den Album-verkäufen über die Runden kommen. Der Markt ist komplett zusammengebrochen.

Immer mehr Leute beziehen die Musik gratis aus dem Internet. Was ist Ihre Meinung zu Internet-Piraterie?
Das Thema ist komplex. Einerseits ist es für einen Künstler extrem teuer, eine CD zu produzieren. Deshalb finde ich es nicht richtig, wenn der Konsument das Produkt dann einfach gratis herunterlädt. Andererseits verstehe ich aber auch die Leute, die sagen: «Warum soll ich für etwas bezahlen, das ich gratis haben kann?» Internationale Superstars können sich mit Werbung und Sponsoring quersubventionieren. Bei Mundartkünstlern ist es anders: Sie brauchen jeden Rappen, den sie kriegen können.

Kennen Sie Existenzängste?
Ja, aber das liegt bei mir im Naturell. Mein Vorteil ist es, dass ich schlank durchs Leben komme. Ich muss nicht unbedingt in der grössten Villa zuoberst auf dem Hügel wohnen, um glücklich zu sein. Für stürmischere Zeiten habe ich etwas auf die hohe Kante gelegt. Das beruhigt.

Sie sind seit bald 20 Jahren im Geschäft. Kein Bedürfnis, mal etwas anderes zu machen?
Doch. Ich war nie auf einer grösseren Weltreise. Momentan reizt es mich schon, mal so etwas zu machen. Ich träume davon, keinen Druck mehr zu verspüren. Es war mir stets wichtig, an meiner Musik Spass zu haben. Doch je erfolgreicher man wird, desto grösser werden auch die Erwartungen. Das alles mal loszulassen und irgendwohin abzuhauen, wäre schon schön.

Wohin würde es Sie ziehen?
Ich würde gerne mit dem Wohnwagen ein halbes Jahr durch Europa reisen. Gerne würde ich irgendwo am Meer anhalten und die Fischerrute hervorholen. Das sind schöne Gedanken. Aber das steht wegen der familiären Situation wohl nicht zur Diskussion (lacht).

Kann Ruhm auch belasten?
Ruhm ist etwas sehr Verführerisches. Schliesslich wird jeder gerne geliebt und verehrt. Aber Popularität schränkt einen in gewissen Situationen auch ein.

Zum Beispiel?
Wenn ich einkaufen gehe und schon beim ersten Regal jemand sein Handy zückt, ist das nicht immer angenehm. Aber die Leute sind in der Regel sehr respektvoll. Wir sind ja auch in der Schweiz. Ich jammere also auf sehr hohem Niveau. Ernsthaft: Die Handy-kultur hat vieles verändert.

Inwiefern?
Mir bereitet es manchmal schon Sorgen, wenn ich sehe, wie die Jungen heute konstant und in einer ungeheuerlichen Geschwindigkeit dem Konsum verfallen sind. Früher haben wir einander noch rare Platten ausgeliehen, sie einen Abend lang gehört und darüber gesprochen. Heute wird jedes Geheimnis mit einem Klick gelüftet. Dazu gehört auch die Sexualität.

Davon sind nicht nur die Jungen betroffen.
Nein, aber sie werden mehr geprägt als wir Älteren. Aber klar, die Handykultur beeinflusst auch meine Altersgruppe. Die Leute nehmen sich kaum mehr Zeit, etwas zu erzählen oder jemandem zuzuhören. Selten wird ein ganzes Buch gelesen. Alles wird auf ein paar Sekunden hinuntergeschraubt. Alle reden von Schwarmintelligenz, die sich entwickelt, wenn sich alle konstant vernetzen. Ich rede eher von einer zunehmenden Verblödung.

Was ist Ihre Lösung?
Das Telefon auf Flugmodus zu stellen. Das mache ich oft. Dann bin ich von der Umwelt abgeschirmt und habe meine Ruhe. Diese Informationslawine erdrückt uns doch bloss und macht uns am Ende alle krank. Das tönt jetzt arg pessimistisch. So bin ich eigentlich gar nicht. Im Gegenteil!

Was macht Ihnen Freude?
Ich mag die Schweiz, wie sie sich entwickelt hat. Alle sprechen von Gewaltzunahme, von Überfremdung. Das ist doch Unsinn! Die Menschen haben sich auch früher auf die Mütze gegeben. Ich halte nichts von dieser Panikmacherei, wie schlimm alles geworden sei. Die Kids heute sind extrem aufgeschlossen und weltoffen. Sie hören Skrillex, dann Led Zeppelin, parallel das neue Lied von Miley Cyrus. Mir gefällt das.

Also, kein Grund zur Sorge in unserem Land?
Ach, wir sollten nicht das Haar in der Suppe suchen. Wir haben es verdammt schön und Möglichkeiten, von denen Menschen in anderen Ländern nur träumen. Also: Schluss mit Jammern!

Wenn Sie zurückschauen, was würden Sie anders machen?
Ich habe nie kompletten Unsinn gemacht, bereue deshalb nichts. Ich bin mir stets treu geblieben. In den letzten Jahren habe ich mich stark entwickelt, bin weniger rebellisch als früher. Andere würden sagen, ich sei angepasster, was stimmt. Aber das ist doch menschlich. Wir werden alle älter und versöhnlicher.

Vermissen Sie nie die Unbeschwertheit der Jugend?
Doch. Aber nicht so stark wie andere in meinem Alter. Ich führe ja immer noch einen relativ jugendlichen Lifestyle. Dadurch kann ich die drohende Midlife-Crisis ziemlich elegant hinauszögern.

Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?
Adiletten tragend in meinem Garten sitzend und mit der Nagelschere das Gras schneiden. Neben mir meine Frau und mein 19-jähriges Kind. Ich habe mein Leben lang Gas gegeben. Mit Ende 50 würde ich es dann gerne etwas ruhiger angehen.

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