Es schnupft und hustet allenthalben: Im Winter tobt sich die Grippe aus. Doch Fieber und Schmerzen sind nicht nur für die Infizierten unangenehm, sondern zunehmend auch für ihre Arbeitgeber. Insgesamt wurden 2015 satte 198 Millionen Arbeitsstunden wegen Krankheiten aller Art nicht geleistet, wie das Bundesamt für Statistik meldet. 2010 waren es noch 169 Millionen.
Mancher Unternehmer ist nicht bereit, das länger hinzunehmen – und setzt auf die sogenannte Gesundheitsprämie. Der Autokonzern Daimler hat zum Jahreswechsel eine hitzige Diskussion damit entfacht, dass er als erstes Grossunternehmen Angestellte belohnt, die nie krank sind. Wer stets zur Arbeit erscheint, erhält pro Quartal 50 Euro, im Jahr also maximal 200 Euro.
Bis zu 30 Prozent der Angestellten erhielten zusätzlich Geld
Auch in der Schweiz gibt das umstrittene System zu reden. Das Branchenmagazin «HR Today» widmete dem Thema eine ganze Serie von Artikeln, denn immer mehr Unternehmen setzen darauf. Zum Beispiel die auf den Betrieb von Pflegeheimen spezialisierte Solviva AG. Sie betreibt fünf Heime mit rund 190 Angestellten. Wer ein Jahr lang an keinem Tag fehlt, bekommt mit dem Januarlohn 200 Franken extra ausbezahlt.
«Im Gesundheitswesen haben wir überdurchschnittlich viele Abwesenheiten», begründet Solviva-Geschäftsführer Ulrich Kläy (53). Er vermutet, dass manche Mitarbeiter gelegentlich einfach blau machen. «Es fällt schon auf, dass gewisse Leute montags oder nach Geburtstagen krank sind.» Die vor sechs Jahren eingeführte Gesundheitsprämie habe sich bewährt. Durchschnittlich erhielten zwischen 25 und 30 Prozent der Angestellten jedes Jahr den Zusatzbatzen.
Aber kommen dann die Angestellten nicht öfter krank zur Arbeit? Das wäre im Pflegebereich besonders heikel. Kläy winkt ab. «Nötigenfalls schicken wir sie nach Hause. 200 Franken sind zu wenig, als dass ihnen das wehtut.»
Juristisch umstritten
Die Gesundheitsprämie ist aber auch juristisch umstritten. Die Anwälte Marco Kamber (37) und Tanja Knezevic (30) der Zürcher Kanzlei RKR zum Beispiel weisen auf rechtliche Risiken hin, wenn sie Unternehmen bei der Senkung von Krankheitskosten beraten: «Kommt die Prämie als Teil des Lohns daher, ist sie unseres Erachtens nicht zulässig. Dann könnten auch Mitarbeiter sie einklagen, die wegen Krankheit fehlten», erklärt Kamber. Der Arbeitgeber sei zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet.
Als eine Art Gratifikation jedoch sei die Gesundheitsprämie denkbar, beispielsweise als Bonus. Doch Kamber warnt: «So wäre der Anreiz für die Mitarbeiter nicht mehr so gross, zur Arbeit zu erscheinen, weil sie nicht verbindlich mit der Ausrichtung der Prämie rechnen können.»
Bis jetzt hat sich noch kein Schweizer Gericht mit dieser Frage explizit auseinandergesetzt. Solange das so bleibt, werden Unternehmen weiter verfahren wie bisher. Solviva-Geschäftsführer Kläy: «Dass unsere Prämie juristisch problematisch ist, glaube ich nicht. Wir lassen uns jedenfalls nicht unterkriegen.»