Experte zur Auflösung der kurdischen PKK
«Für Erdogan bedeutet es einen historischen Erfolg»

Die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK kündigt ihre Auflösung an – nach jahrzehntelangem Kampf gegen den türkischen Staat. Was könnte ein baldiger Frieden für die Region bedeuten? Und was bedeutet das für den türkischen Premier Erdogan? Ein Experte ordnet ein.
Publiziert: 12.05.2025 um 12:34 Uhr
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Aktualisiert: 13.05.2025 um 12:54 Uhr
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Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • PKK kündigt Auflösung an und beendet ihren bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat
  • Entscheidung folgt nach Aufruf des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan
  • Konflikt forderte über 40'000 Todesopfer in mehr als 40 Jahren
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Daniel MacherRedaktor News

Nach einem jahrzehntelangen blutigen Konflikt mit dem türkischen Staat hat die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK ihre Auflösung angekündigt. Es sei beschlossen worden, die organisatorische Struktur der PKK aufzulösen und die Methode des bewaffneten Kampfes zu beenden, schrieb die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF.

Dieser Prozess solle vom Gründer der Organisation geleitet werden, dem auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten Abdullah Öcalan (75). Die PKK wird in der Türkei, in der EU, den USA und in der Schweiz als Terrororganisation eingestuft.

Reaktion auf Aufruf Öcalans

Die PKK war 1978 von Öcalan in der Türkei gegründet worden – hauptsächlich als Reaktion auf die politische, soziale und kulturelle Unterdrückung der Kurden in dem Land. Seit den 1980er-Jahren kämpft sie mit Waffengewalt und Anschlägen für einen kurdischen Staat oder ein Autonomiegebiet im Südosten der Türkei.

Die Entscheidung kam nicht überraschend, wie Andreas Böhm, Professor an der Universität St. Gallen, gegenüber Blick einordnete. «Nun wurde vollzogen, was seit Februar angekündigt und bereits vorher abzusehen war», so der Geo-Politiker. «Die PKK war geschwächt, ihr militärischer Arm weitestgehend auf dem Rückzug im Irak.»

Die PKK reagiert mit dem Schritt auch auf einen Aufruf Öcalans, der seit 1999 in der Türkei inhaftiert ist. Im Februar hatte er die Organisation aufgefordert, die Waffen niederzulegen und sich aufzulösen. Von der Forderung eines unabhängigen Staates sei die Organisation abgerückt, was auch Öcalan inzwischen zugebe, führt Böhm weiter aus.

«Ziel sei nicht mehr eine separate Staatlichkeit der Kurden, sondern vielmehr deren Integration in den Staat», erklärt Böhm. «Es gab auch Gesten seitens der Regierung. Ende 2024 wurde etwa ein Entwicklungsprogramm in der Höhe von 14 Milliarden Dollar vorgestellt, das den ökonomisch schlechter gestellten Regionen in der Südosttürkei zugutekommen soll, also den Regionen mit dem grössten Anteil kurdischer Bevölkerung.»

Dr. Andreas Böhm

Andreas Böhm forscht und lehrt an der Universität St. Gallen (HSG) zu den Bereichen Philanthropie, Politische Theorie und Geopolitik. Er ist Nahost-Experte, insbesondere im Palästina-Israel-Konflikt.

Andreas Böhm forscht und lehrt an der Universität St. Gallen (HSG) zu den Bereichen Philanthropie, Politische Theorie und Geopolitik. Er ist Nahost-Experte, insbesondere im Palästina-Israel-Konflikt.

Was bedeutet das für Erdogan?

Die AKP-Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan (71) reagierte bisher vorsichtig optimistisch auf die Entscheidung: «Wenn der neue PKK-Beschluss vollständig umgesetzt wird und alle PKK-Unterorganisationen und illegalen Strukturen geschlossen werden, wird dies ein Wendepunkt sein», sagte Parteisprecher Ömer Celik laut der Nachrichtenagentur Anadolu.

Experte Böhm spricht von einem historischen politischen Erfolg für Erdogan: «Schliesslich ist damit ein über 40-jähriger Konflikt, der mehr als 40'000 Tote gefordert hat, zu Ende. Er wird versuchen, ihn zu nutzen, um eine Verfassungsänderung herbeizuführen, da er nach geltendem Recht 2028 aus dem Amt scheiden müsste.» Ob es tatsächlich weitere Zugeständnisse an die Kurden geben werde und wie weit diese reichten, werde sich weisen, so Böhm. «Skepsis ist jedenfalls angebracht.»

Regionale Auswirkungen der Auflösung

Ein Ende der PKK dürfte Auswirkungen über die Türkei hinaus haben: Die PKK hat ihr Hauptquartier in den irakischen Kandil-Bergen und ist auch in Syrien und in Europa präsent. Ob alle Gruppierungen innerhalb der PKK der Entscheidung folgen werden, ist noch ungewiss.

Die Türkei hatte in der Vergangenheit etwa gefordert, dass eine Auflösung auch die syrische Kurdenmiliz YPG umfassen müsse. Ankara sieht diese als einen Ableger der PKK. Die YPG hatte sich kürzlich aber mit der neuen syrischen Regierung darauf geeinigt, sich vollständig in die Streitkräfte des Landes integrieren zu lassen – ein Schritt, der Ankaras bisherige Forderung obsolet machen könnte.

Böhm sieht die Entscheidung der PKK jedoch auch als einen «Puzzlestein in einem Neuordnungsprozess in der Region. Vor ein paar Wochen haben bereits die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) mit rund 60'000 Kämpfern, geführt von einem Ziehsohn Öcalans, in Nordostsyrien erklärt, sich in den neuen Staat einzugliedern. Dies war ein wichtiges Signal für den Staatsbildungsprozess in Syrien.»

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